264 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates.
als der Gesamtheit der gegenwärtigen und zukünftigen Staats-
glieder, endlich gegenüber der menschlichen Gattung, als deren
Glied das Einzelvolk erscheint. Es sind demnach drei Gattungen
von Solidarinteressen vom Staate zu versorgen: individuelle,
nationale, menschheitliche. Unter dem Gesichtspunkte teleo-
logischer Rechtfertigung erscheint uns daher heute der Staat
als der durch planmäßige, zentralisierende, mit
äußeren Mitteln arbeitende Tätigkeit die indivi-
duellen, nationalen und menschheitlichen Solidar-
interessen in der Richtung fortschreitender Ge-
samtentwicklung befriedigende, herrschaftliche,
Rechtspersönlichkeit besitzende Verband eines
Volkes!).
Schließlich sei hier nochmals auf den inneren Zusammen-
hang der Fragen nach dem Grunde und dem Zwecke des Staates
hingewiesen. Die Antwort auf die erste Frage hat das Sein des
Staates gerechtfertigt, die auf die zweite sein Wirken. Beide zu-
sammen enthalten erst die volle Rechtfertigung des staatlichen
Lebensprozesses. Ist ohne Staat keine Gesellschaft und keine
Erfüllung menschlicher Gemeinzwecke möglich, dann ist für jeden,
der sich nicht außerhalb der Gesellschaft stellen will, Hingabe
an den Staat sittliche Notwendigkeit. In dieser Einsicht ver-
einigen sich die verschiedenen epochemachenden Lehren vom
Staate, die scheinbar unversöhnliche Gegensätze bilden. Sie lehrt
‚einerseits den Staat als geschichtlich notwendiges Produkt der
sich stets reicher entfaltenden Menschennatur erkennen und
fordert anderseits freie Anerkennung des historisch Gegebenen
als eines notwendigen Durchgangspunktes in der Entwicklung der
Gesamtheit. Die großen Gegensätze der Notwendigkeit und
Freiheit finden in der richtigen Lösung dieser Probleme ihre
Versöhnung. Das geschichtlich Notwendige soll frei, nach klar
erkannten Zwecken gestaltet werden.
ı) Diese Definition enthält selbstverständlich einen Wertmaßstab,
kein Erkenntnisurteil, wie Preuß, Über Organpersönlichkeit, a.a.O.
5.573, meint. Ein Staat, der diesem auf unseren heutigen politischen
Anschauungen beruhenden Maßstab nicht entspricht, hört darum
natürlich nicht auf, Staat zu sein, er erscheint uns aber als minder-
wertiger Staat. Die Formel von Preuß hingegen, wonach der Staat
Selbstzweck ist, die auf alle Staaten von Babylon bis zum Deutschen
Reich paßt, ist völlig inhaltsleer und kann mit Fug und Recht in den
Satz verwandelt werden: Der Staat ist eine gänzlich wertlose Institution.