Neuntes Kapitel. Entstehung und Untergang des Staates. 271
gegen die Ableitung des Staates aus einem vor- oder überstaal-
lichen Rechte protestieren!), und Stahl hat sodann jede Ab-
leitung eines Staates aus dem Willen seiner Glieder energisch
verworfen?). Trotzdem hat sich die Lehre von der rechtlichen
Entstehung der Staaten wie so manche andere ‚Theorie vom
Naturrecht in die moderne allgemeine Staatsrechtslehre geflüchtet,
die bis in die neueste Zeit herab staatliche Bildungsvorgänge
aufzählte, wie wenn sie Rechtsvorgänge wären®). Selbst die
völkerrechtliche Literatur, die energisch den rein tatsächlichen
1) Philosophie des Rechts S.301ff. Hegel ıst es nur um die Idee
des Staates zu tun, nicht um die zufällige historische Erscheinung; aber
auch von dieser sagt er: „in Rücksicht auf die Autorität eines wirklichen
Staates, insofern sie sich auf Gründe einläßt, sind diese aus den Formen
des in ihm gültigen Rechts genommen“ (3. 307).
2) Staatslehre S.169£f.: „Der Staat entsteht nicht durch Zusammen-
tritt von Kräften, sondern durch Entfaltung von innen, nicht durch
menschliche Absicht, sondern durch göttliche Fügung.“ „So entsteht
der Staat tatsächlich, so bindet er auch rechtlich. Sein Ansehen beruht
auf seiner bloßen Existenz als solcher.‘ „Während die Naturrechts-
lehrer den ganzen Staat, der doch historisch immer in absichtsloser
Ausbildung entsteht, als ein Vertragsverhältnis behandeln, so müssen
vielmehr nach richtiger Erkenntnis selbst jene Teile und Bestimmungen
seiner Verfassung, welche wirklich durch Übereinkunft entstanden sind,
dennoch angesehen werden, als habe eine über den Beteiligten stehende
Autorität sie eingeführt.“ Daher weist auch Stahl bereits die sezessio-
nistische Lehre von der Kündbarkeit der amerikanischen Union zurück.
Zorn (Deutsche Literaturzeitung 1904 S. 883), auf dessen Ansichten über
die Entstehung des Bundesstaates ich übrigens bereits (Lehre von den
Staatsverbindungen S. 262 N. 10) hingewiesen habe, irrt sich daher, wenn
er sich für den Urheber der Lehre von der rechtlichen Unableitbarkeit
des Staates hält.
3) So sagt noch Mohl, Enzyklopädie S.99: „Mit Recht darf die
Keckheit oder Unwissenheit scharf getadelt werden, welche das sogar
häufige Vorkommen von Staatsbegründungen mittels Vertrages ableugnen
will.“ Die Frage, ob der Abschluß eines Vertrages bei Gründung des
Staates auch wirklich die causa efficiens des Staates sei, wird von Mohl
nicht einmal aufgeworfen. Auch Bluntschli, Lehre vom modernen
Staat I S.336, und H.Schulze, Einleitung S. 151 N.10, erklären trotz
heftiger Polemik gegen die Vertragstheorie, daß die Geschichte einzelne
Fälle von Staatsgründungen durch Vertrag kenne. —-Brie, Handbuch
d. Politik I 1912 S.72£., läßt Staaten u.a. durch Gesetz eines andern
Staates entstehen, wohl uneingedenk, daß durch Gesetz zwar Kommunal-
verbände geschaffen werden können, aber keine Staaten. Erst wenn das
Gemeinwesen, so wie es ist, auch unabhängig vom gründenden Gesetze
bestehen kann, ist es Staat geworden. Das Gesetz kann immer nur Anlaß