Full text: Allgemeine Staatslehre

Neuntes Kapitel. Entstehung und Untergang des Staates. 273 
lich aber die Frage nach der Entstehung .des Bundesstaates hat 
zahlreiche Versuche einer rechtlichen Konstruktion der Entstehung 
dieser Form der Staatenverbindungen hervorgerufen, die an 
anderer Stelle noch besonders besprochen werden sollen. 
Die Unklarheit solcher Auffassung wird leicht erkannt, wenn 
man sich das Wesen des Völkerrechts vor Augen hält. Das 
Völkerrecht bindet die bereits bestehenden Staaten vermöge der 
Anerkennung, die es durch diese erfährt, nicht aber staatsbildende 
Mächte, die als solche nicht Staaten sind. Es kann daher die 
Bedingungen festsetzen, unter. welchen die anderen Staaten einem 
Gemeinwesen Anerkennung als Staat gewähren oder verweigern 
dürfen, nicht aber die Staatsschöpfung selbst regeln. Der Staat 
ist Staat kraft seines inneren Wesens. In die Gemeinschaft des 
Völkerrechts aber tritt er erst vermöge der'ihm von den anderen 
Mitgliedern dieser Gemeinschaft ausdrücklich oder stillschweigend 
zuteil werdenden Anerkennung ein, wie jede Individualität ‚zur 
Person durch Anerkennung von seiten einer Rechtsgemeinschaft 
erhoben wird. Das Völkerrecht knüpft daher an das Faktum der 
staatlichen Existenz an, vermag dieses Faktum aber nicht zu 
schaffen). 
Aber auch das Staatsrecht ist unfähig, den Staatenbildungs- 
prozeß zu erklären. Der Staat kann nicht Recht für seine eigene 
Entstehung festsetzen, da er zuerst dasein muß, um Recht 
schaffen zu können. Staatsschöpfungsakte können allerdings nach 
dem Rechte der durch sie betroffenen Staaten gewertet werden: 
sie können gegen die Rechtsordnung dieser Staaten sein oder ihr 
gemäß erfolgen. Niemals kann aber der also entstandene Staat 
  
1904 S. 106, erklärt ganz richtig, auf die Frage nach der Entstehung des 
Staates habe die Geschichte, nicht das Recht, zu antworten, scheidet 
aber auch nicht scharf genug die rechtliche Vorgeschichte staatlicher 
Entstehungsakte von der faktischen Entstehung selbst (z.B. wird für 
Belgien vertragsmäßige freiwillige Trennung von den Niederlanden als 
Entstehungsgrund angegeben, was überdies geschichtlich nicht zutrifft). 
Grundsätzlich übereinstimmend nunmehr v.Liszt, Das Völkerrecht 
9. Aufl. 1913 S.50 85 III1, nach Aufgabe seiner früheren abweichenden 
Ansicht (3. Aufl. 1904 S. 41f.). 
2) Haenel, Staatsrecht I S.36, und Anschütz, Enzykl. S. 460, 
behaupten das Dasein völkerrechtlicher Sätze über Staatengründung; 
doch ruht ihre Beweisführung auf einer petitio principii: weil ihrer 
Ansicht nach das Deutsche Reich durch Vereinbarung entstand, deshalb 
muß ein Staat durch Rechtsakt entstehen können. 
G. Jellinek, Allg. Staatslehre. 3. Aufl. 18
	        
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