Neuntes Kapitel. Entstehung und Untergang des Staates. 275
in dem er die Grundzüge der Organisation dieses Staates fest-
stellte. Allein nur durch den freien Willen Jerömes war die
Durchführung dieser Verfassung und damit die Existenz des
neuen Staates möglich, der jenes Dekret nunmehr als eigenes
Gesetz betrachtete. Als Ludwig Bonaparte nicht mehr die brüder-
liche Willkür ertragen wollte und die Krone Hollands nieder-
legte, was die Einverleibung dieses Staates in das französische
Kaiserreich zur Folge hatte, zeigte es sich deutlich, daß selbst
Scheinstaaten, wie die genannten napoleonischen Satrapien, eines
unerzwingbaren Willens zu ihrem Dasein bedurften.
Selbst da, wo ein Staat durch einen oder mehrere andere
sein geschichtliches Dasein und seine Organisation erhält), ist ein
rechtlicher Zusammenhang zwischen schaffendem und geschaffenem
Staate nicht vorhanden. Es können dem neuen Staate völker-
rechtliche Verpflichtungen auferlegt werden, die aber bereits
dessen Existenz voraussetzen, nicht aus dem Schöpfungsakte ab-
zuleiten sind. Allein die Ordnung des neuen Staates, woher
immer sie ihrem Inhalte nach stammen möge, ruht rechtlich stets
nur auf dessen eigenem Willen. Bei Wandlung eines Staats-
gliedes in einen Staat ist es mehrfach vorgekommen, daß er die
aus früherer Zeit stammende Verfassung beibehielt, die aber trotz
unveränderten Wortlautes nunmehr als Staatsverfassung einen
ganz anderen, rechtlich aus ihrer früheren Art nicht ableitbaren
Charakter bekam?).
Am deutlichsten und lehrreichsten kann man diesen außer-
halb des Rechts liegenden Vorgang der Staatenbildung bei der
Entstehung neuer Gliedstaaten in Bundesstaaten studieren. So
vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika). Die
amerikanischen Territorien werden nämlich zu Staaten erhoben,
indem ein Ermächtigungsgesetz der Union, eine „Enabling Act‘,
1) Wie es in Europa der Fall war mit Krakau, den lonischen
Inseln, Bulgarien.
?) Vgl. unten Kap. XV.
s) Vgl. hierüber Jameson A Treatise on Constitutional Con-
ventions, 4th ed. Chicago 1887, p. 173£f.; v. Holst Das Staatsrecht der
Vereinigten Staaten von Amerika (im Handbuch des öff. Rechts) S. 95 ff.;
Freund Das öffentl. Recht d. Vereinigten Staaten von Amerika 1911
S.9if.; Schlief Die staatsrechtliche Stellung der Territorien, im Archı.
für Öff. Recht IV S.314ff.; M.Farrand The Legislation of Congress
for the Government: of the Organized Territories of the United States,
Newark 1896, p.53 ff.
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