Full text: Allgemeine Staatslehre

282 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
sie in der offiziellen Sprache wie die Bildung eines neuen staat- 
lichen Gemeinwesens aus zwei bisher selbständigen behandelt 
wurde. Es ist daher z.B. den Engländern gar nicht eingefallen, 
daß Wilhelm IV. als König von Großbritannien und Irland der 
erste dieses Namens war, so daß nicht einmal in der Zählung der 
Könige die Konsequenz aus der zwiefachen Wandlung gezogen 
wurde, die England in der offiziellen Terminologie erfahren 
hatte. 
Ein entgegengesetztes Beispiel bietet das Königreich Italien 
dar. Es ist formell durch Einverleibung der italienischen Pro- 
vinzen Österreichs und der übrigen Staaten der apenninischen 
Halbinsel in das sardinische Königreich entstanden, wie denn 
auch die sardinische Verfassung ihre Wirksamkeit auf ganz 
Italien ausdehnte. Offiziell scheint nur der Name des sardinischen 
Staates sich in Italien gewandelt zu haben, dieser jedoch mit 
Sardinien dasselbe staats- und völkerrechtliche Subjekt aus- 
zumachen. Dem widerspricht aber die rein provinzielle Stellung, 
die das ursprüngliche Königreich Sardinien innerhalb des italie- 
nischen Staates einnimmt: die Erhebung Roms zur Hauptstadt, 
die Organisation des ganzen Staates, die Stellung der unmittel- 
baren Staatsorgane. Diese historisch-politischen Fakten lassen im 
Gegensatze zu der offiziellen Theorie nicht Italien als cin ver- 
größertes Sardinien, sondern vielmehr Sardinien als vom neu- 
gebildeten Staate Italien aufgesogen ansehen. 
Solche Beispiele lehren aber, wie nahe Umbildung und Neu- 
bildung von Staaten sich berühren können. Der Hiatus zweier 
Rechtsordnungen, der jeden sekundären Staatenbildungsprozeß 
begleitet, es sei denn, daß er auf bisher staatslosem Gebiete 
stattfindet, kann so unmerklich. sein, daß es im einzelnen 
Falle oft schwer wird, genau die Grenze beider festzustellen. Im 
geschichtlichen Prozesse sind überall unmerkliche Übergänge 
möglich, während das Recht, weil begrifflicher Natur, stets nach 
scharfen Grenzen strebt. In solchen Fällen, wo die Neubildung 
eines Staates erst nachher erschlossen werden kann, ist die An- 
erkennung des bisher bestehenden, durch die Wandlung der 
politischen Verhältnisse nicht vernichteten Rechtes durch die neue 
Staatsgewalt vermöge der ununterbrochenen historischen Konti- 
nuität selbstverständlich. 
Es ist demnach in jedem einzelnen Falle, wo eine staatliche 
Neubildung in Frage steht, ihr Sein oder Nichtsein gemäß der
	        
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