254 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates.
Aber auch in allen anderen Fällen ist der Untergang eines
Staates stets auch ein Faktum. Durch bloßen Beschluß, nicht
mehr Staat sein zu wollen, sich einem anderen Staate einzu-
gliedern, geht der Staat nicht unter. Vielmehr muß stets das
faktische Aufhören der Funktionen seiner Staatsgewalt hinzu-
treten, an ihrer Stelle eine andere Staatsgewalt ihre Tätigkeit
beginnen.
Diese Fakten sind es, die von der Völkerrechtslehre klassi-
fizierl zu werden pflegen. Auseinanderfallen in seine Teile, Teilung
durch auswärtige Mächte, Eroberung, freiwilliger Eintritt in einen
anderen Staat, Zusammenfassung einer Mehrheit von Staaten zu
einer Einheit sind stets in erster Linie faktischer Natur: Auf-
lösung bestehender Staatsverbände.
Mit diesen Fakten können aber rechtliche Vorgänge in ganz
anderer Weise verknüpft sein als bei der Entstehung eines
Staates. Die Entstehung eines Staates vollzieht sich außerhalb
des Rechtes, weil die Ordnung mangelt, an der die Vorgänge
staatlichen Werdens gemessen werden können. Nicht so muß es
sich aber beim Untergang der Staaten verhalten.
Vor allem kann der Staat gemäß seiner eigenen Ordnung
zu existieren aufhören, d. h. die Akte legalisieren, die sein Ende
herbeizuführen bestimmt sind. Die hohenzollernschen Fürsten-
tümer und das Herzogtum Lauenburg sind vermöge des in den
verfassungsmäßigen Formen geäußerten legalen Willens dieser
Staaten dem Königreiche Preußen einverleibt worden. Es geht
ın solchen Fällen dem tatsächlichen Untergang des Staates ein
ihn zu seiner Vernichtung verpflichtender Subjektionsvertrag
voraus. Ferner aber vermag ein bestehender Staat gemäß seiner
eigenen, auch die Rechtsgültigkeit von Gebietsveränderungen
regelnden Ordnung seinen Herrschaftsbereich über seinen ursprüng-
lichen Umfang auszudehnen, und ebenso erkennt das Völkerrecht
diese Ausdehnung selbst dann als zu Recht bestehend an, wenn
sie, wie bei der Eroberung, wider den Willen des vernichteten
Staates erfolgt, und sogar, wenn dieser Zwang von Verletzung
völkerrechtlicher Normen begleitet wurde. Diese Ausdehnung
eriolgt durch den Akt der Einverleibung. Der Akt der In-
korporierung ist stets rechtlich zu werten. Nur besteht ein Unter-
schied zwischen beiderseitig gewollter und einseitiger Inkorporation
darın, daß bei der ersteren der ganze Verlauf des Aufhörens
der einen und des An-die-Stelle-Tretens der anderen Staatsgewalt