Full text: Allgemeine Staatslehre

Zehntes Kapitel. Die geschichtlichen Haupttypen des Staates. 289 
geordneten Rechtspflege!). Die hochmütige Ansicht der Hellenen 
von dem Sklaventum der orientalischen Völker, die bis in die 
neueste Zeit nachgewirkt hat, ist eine arge Übertreibung, auf- 
gebaut auf der griechischen Vorstellung der Identität von Freiheit 
und Teilnahme an der Herrschaft. Das Wahre an der Sache ist 
vielmehr, daß das Recht des Individuums dem Herrscher gegen- 
über nicht geltend gemacht. werden kann, wohl aber gegenüber 
dem Nebengeordneten, und daß, wie in jedem Staatswesen, 
dessen Machtfülle in die Hand eines Organes ohne jede Be; 
schränkung gelegt ist, Garantien für die Aufrechterhaltung der 
Rechtsordnung nur in der zufälligen Natur der herrschenden Per- 
sonen liegen können. Im Orient hat daher das Individuum be- 
grenzte Privatrechtsfähigkeit; ferner ist ebenfalls eine begrenzte 
öffentliche Rechtsfähigkeit bei einem Teile des Volkes vorhanden, 
indem Zugehörigkeit zu bestimmten Ständen oder Kasten publi- 
zistische Qualifikation für Ämter und Würden verleiht. Da .be- 
siegte Gemeinwesen häufig nur zur Tributzahlung und Heerfolge 
herangezogen werden, so zeigen große Staaten auch eine innere 
Gliederung, welche die Geschlossenheit des gesamten Verbandes 
viel geringer erscheinen läßt als die des modernen zentralisierten 
Einheitsstaates ?). 
Theokratie sodann, ein von Josephus geschaffenes Wort?), 
bezeichnet eine Mehrheit politischer Vorstellungen, so daß man 
sich in jedem einzelnen Falle ihres jeweiligen Inhaltes. klar be- 
wußt sein muß. Gemeinsam ist all diesen Vorstellungen nur, 
daß sie ein bestimmtes Verhältnis der staatlichen Herrschaft zu 
göttlichen Mächten bezeichnen. Zwei Grundtypen sind da zu 
unterscheiden. Der Herrscher ist Vertreter der göttlichen Macht, 
sein Wille daher gottähnlich, oder er ist beschränkt durch gött- 
  
1) Namentlich die fortschreitende Kenntnis des babylonischen und 
des ägyptischen Rechtes (über das letztere vor allem Revillout, Cours 
de droit egyptien I 1884 und Les obligations en droit &gyptien 1886, 
ferner Precis du droit &gyptien 1903; vgl.. auch Mitteis Reichsrecht 
und Volksrecht in den östlichen Provinzen des römischen Kaiserreichs 
1891 S.56ff.) hat die Existenz fester, durchgebildeter Rechtsinstitute 
kennen gelehrt, die mit den traditionellen Vorstellungen von orientalischer 
Despotie nicht vereinbar ist. Zahlreiche Daten über altorientalisches 
Rechiswesen bei L. Felix Entwicklungsgesch. d. Eigentums IV! S.152 ff. 
2) So vor allem im persischen Weltreiche, vgl. RankeI S. 150£f. 
3) Contra Apion. 2,164, vgl. Wellhausen, Prolegomena zur Ge- 
schichte Israels, 6. Ausg. 1905 S. 409. 
G.Jellinek, Allg. Staatslehre. 3. Aufl. 19
	        
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