Full text: Allgemeine Staatslehre

290 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
liche Macht, die ihren überstaatlichen Willen durch andere 
Organe äußert. So sind unwiderstehliche Stärke und äußerste 
Schwäche der Staatsgewalt gleicherweise als Wırkungen der 
Theokratie möglich. Und diese Verhältnisse modifizieren sich so- 
dann gemäß der eigentümlichen Ausprägung der religiösen Grund- 
anschauungen, in denen, wie bei den Ariern und Semiten, 
prinzipielle Gegensätze zutage treten. 
Im allgemeinen läßt sich von dem ersten -Typus sagen, daß 
er das Recht des Individuums im geringsten Maße anerkennt, 
der Staat selbst den Charakter eines Objektes annimmt, das einer 
ihm fremden, über ihm stehenden Macht unterworfen ist. Damit 
wird ein eigentümlicher Dualismus gesetzt, indem der Staat einer 
transzendenten, d. h. übermenschlicher Ergänzung bedarf, durch 
die er überhaupt Lebensfähigkeit gewinnt. 
Der zweite Typus hingegen setzt einen inneren Dualismus 
in den Staat, der zwei Gewalten, eine menschliche und eine, die 
sich übermenschlichen Ursprungs rühmt, aufzuweisen hat. In 
wieweit die zweite, von Priestern gehandhabte Macht die erste 
nich! nur beschränkt, sondern auch zu beherrschen vermag und 
dadurch den Dualismus im Sınne des ersten Typus umgestaltet, 
ist an jedem einzelnen Staatswesen dieser Art besonders fest- 
zustellen. 
Weitaus am wichtigsten von allen diesen Staaten ist der dem 
zweiten Typus angehörende israelitische Staat!). Seine In- 
stitutionen in der Form, wie sie die biblischen Schriften schildern, 
haben nicht nur den Bau der alten Kirche mitbestimmt, sondern 
auch auf die politischen Ideen des Mittelalters bis tief in die 
neue Zeit hinein gewirkt. 
Neuere Forschungen haben ergeben, daß die Bezeichnung 
als Theokratie erst für die Zeit der Fremdherrschaft für den 
Staat Israels, also für Judäa, völlig zutreffend ist?). \Wie dem 
auch sein mag, so ist die Vorstellung, daß Jahwes Gebot höher 
steht als Königsmacht, und daß es nicht der König ist, durch 
  
1) Über die vorexilischen staatlichen Verhältnisse vgl. Stade Ge- 
schichte des Volkes Israel I 1887, namentlich S. 410f£.; Ed. Meyer I 
3.346 ff., 566 ff.; Renan Histoire du peuple d’Isra@l II, III 1891 bis 1893. 
Über die nachexilischen außer den Fortsetzungen der genannten Werke 
namentlich Wellhausen a.a. O. S. 409ff. Über den jüdischen Staat 
überhaupt M&lamed Der Staat im Wandel der Jahrtausende 1910 S.16 £f. 
*) Wellhausen a.a.0. S.417£f.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.