Full text: Allgemeine Staatslehre

Zehntes Kapitel. Die geschichtlichen Haupttypen des Staates. 297 
an der Regierung, hier im möglichst wenig Regiertwerden. Im 
antiken Staate sind die Leistungen des Bürgers ein Ausleben 
seiner Persönlichkeit, im neuzeitlichen eine Beschränkung der- 
selben.'‘!) Erst von Mohl datiert in Deutschland die communis 
opinio über den Unterschied antiker und moderner Freiheit, die 
wiederum ın den sechziger Jahren durch eingehende Ausführungen 
Hildenbrands?) sowie Laboulayes°) und Fustels de 
Coulanges#) ıhre feste Stütze erhält. 
Eine kritische Untersuchung der also entstandenen Lehre 
ergibt vor allem, wie mißlich es ist, einen Zeitraum von vielen 
Jahrhunderten mit einigen Schlagworten charakterisieren zu wollen. 
Der spartanische Staat zur Zeit der messenischen Kriege und 
Athen in den Tagen des Demosthenes liegen nicht nur zeit- 
lich, sondern auch ihrer ganzen politischen Struktur nach weiter 
auseinander wie etwa das Venedig des 14. Jahrhunderts und das 
heutige Italien. Auch der antike Staat hat sich nicht nur in den 
mannigfaltigsten Formen ausgebildet, sondern auch eine Innere 
Entwicklung durchgemacht, die dem Wandel des mittelalterlichen 
zum modernen Staate durchaus gleichwertig ist. 
Ferner zeigt sich, daß die typischen Zeichnungen des 
hellenischen Staates überwiegend Konterfeie des spartanischen 
Militärstaates sind. Das hat seinen Grund wohl zunächst darin, 
daß der spartanische Staat in der Form, wie er damals bereits 
der Vergangenheit angehörte, von Xenophon und Plato dem 
einer zügellosen Demokratie verfallenen athenischen Staat als 
Muster gegenübergestellt wurde, wie denn auch Aristoteles 
in seiner Politik von dem Einfluß spartanischer Vorstellungen 
nicht ganz freigeblieben ist; denn manche lakonische Einrichtungen 
sind es, die in seinem Staatsideal Platz finden. Diese Forderung 
starker Ausprägung des kollektivistischen Gedankens in den staat- 
lichen Institutionen war daher für Athen, das doch in erster 
Linie hier in Betracht zu kommen hat, nicht Rechtswirklichkeit, 
sondern Entwurf einer Zukunftsverfassung auf Grund von In- 
nn 
!) Enzyklopädie 1. Aufl. (1859) S.319. Ähnlich schon Gesch. und 
Literatur der Staatswissenschaften I (1855) S.222. Vor Mohl hatte 
Bluntschli, Allgem. Staatsrecht 1. Aufl. 1852 S.29, die Über- und 
Allmacht des griechischen Staates in ähnlicher Weise wie Hermann betont. 
2) Geschichte u. System S. 26 ff. 
3) L’Etat et ses limites 1863 p. 103 ff. 
*) La cite antique p.265£f. liv. III chap. XVII.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.