Zehntes Kapitel. Die geschichtlichen Haupttypen des Staates. 309
gemessener Anteil von Rechten zu, nicht etwa nur eine prekäre
Duldung. Durch die eigentümlichen Institute der Proxenie und
Euergesie wurde Bürgern fremder Staaten eine ganze Reihe recht-
licher Fähigkeiten und Privilegien beigelegt (Zutritt zum Rat
und zur Volksversammlung, Recht zum Erwerbe von Häusern
und Grundbesitz, Sicherheit gegen Beschlagnahme der Person
und des Eigentums, zuweilen auch Befreiung von Abgaben bei
Käufen und Verkäufen, unbehinderte Ein- und Ausfuhr, endlich
ein Ehrenplatz im Theater)!). Auch wurde den Behörden zur
Pflicht gemacht, sich des Proxenos anzunehmen, wenn er etwas
bedürfen sollte?2). Enktesis, Gerichtszuständigkeit und Epidamie
waren Formen der Verleihung privatrechtlicher Fähigkeiten an
Fremde, die als Teile der den Vollbürgern zukommenden Be-
fugnisse zugleich bewiesen, wie scharf man zwischen bloßer
Privatrechtsfähigkeit und den politischen Rechten zu scheiden
verstand).
Gemäß der gesetzlichen Grundlage aller Leistungen an den
Staat waren willkürliche Schatzungen ausgeschlossen, ganz wie
im Staate der Gegenwart. Von diesen Leistungen war die am
weitesten gehende die vom 18. bis 60. Jahre währende Wehr-
pflicht, die der Theorie vom Aufgehen des einzelnen im Staate
als eines der bedeutendsten Argumente erscheint, heute aber,
wo die Landsturmpflicht bis zum vollendeten 45. Jahre dauert,
nicht mehr als übermäßige Belastung behauptet werden kann,
zumal die Verpflichtung zum Felddienste nur auf den Klassen
vom 20. bis 50. Jahre ruhte®).
Geschützt waren diese Rechte durch eine wohlausgebildete
Gerichtsbarkeit, die, ganz wie die moderne, nur auf Antrag der
Interessenten tätig werden konnte, daher im Richterspruch nicht
nur eine Öffentliche Pflicht erfüllte, sondern auch einem sub-
jektiven Rechtsanspruche des einzelnen genügte. Selbst Analogien
der modernen verwaltungsrechtlichen Parteistreitigkeiten kennt
das athenische Finanzrecht5). Wenn sich jemand, der für eine
1) Busolt a.a.0. S.53, 54.
2) Busolt S.54.
3) Über die juristisch sehr interessanten Verhältnisse Szanto 8.27.
4) Busolt S.388.
5) Wie lebhaft das Gefühl des selbständigen individuellen Vermögens-
subjektes ausgebildet war, geht daraus hervor, daß indirekte Steuern
die Regel waren, direkte aber als Freiheitsbeschränkung galten,
Vgl. Beloch I S. 434.