Full text: Allgemeine Staatslehre

Zehntes Kapitel. Die geschichtlichen Haupttypen des Staates. 315 
Der Gedanke aber, nur dem Gesetze und damit beschränkter 
Herrschaft untertan zu sein, war wie in Hellas, so auch in Rom 
lebendig. Hingegen ist die Qualität des Bürgers als des Trägers 
von Ansprüchen auf Staatsleistungen und auf Teilnahme am 
Staate von dem scharf unterscheidenden juristischen Verstande 
der Römer in voller Klarheit erfaßt worden. Die rechtliche 
Natur der Zivität ist in Rom so reich als möglich entwickelt; 
ihre verschiedenen Abstufungen beweisen, wie genau man sich 
der Fülle des in ihr enthaltenen individuellen Rechtskreises be- 
wußt war. Selbst der moderne Begriff des Passivbürgers, des 
civis sine suffragıo, ist der Republik nicht fremd geblieben), 
und damit ist der Typus des antıken Bürgers, dessen wesent- 
liches Merkmal aktive Teilnahme am Staate ist, durchbrochen. 
Die beiden Seiten des Freiheitsbegriffes sind den Römern wohl- 
bekannt. In den Digesten ist uns sogar nur die Definition der 
bürgerlichen, nicht der politischen Freiheit aufbewahrt?). Der 
Staat tritt allerdings dem Bürger nicht als gleichwertiges Rechts. 
subjekt gegenüber, eine actio gegen den populus wird dem 
Bürger nicht gegeben®): darin aber stehen viele moderne 
BRechtsordnungen, allen voran die anglo-amertkanische, der römı- 
schen gleich. 
Die dem Staate gegenüber selbständige Einzelpersönlichkeit 
ist auch in Rom in vollem Umfange nur im Bürger vorhanden. 
Dem Menschen schlechthin wird Persönlichkeit auch dann nicht 
zuerkannt, als das Christentum ausschließliche Staatsreligion ge- 
worden war. Das antike christliche Rom hat die Basis des alten 
Staatswesens keineswegs aufgegeben. Von ihm gilt daher das- 
selbe wie von dem heidnischen Rom. Trotzdem die Kirche ihre 
Selbständigkeit fordert, bleibt auch in der christlichen Zeit der 
antike Staat Kultgemeinschaft. Bei der Ausschließlichkeit des 
Christentums aber im Gegensatz zu den mannipgfaltigen, bis dahin 
neben der Staatsreligion zugelassenen heidnischen Kulten des 
  
1) Mommsen Abriß des römischen Staatsrechts 1893 S. 541. 
2) Florentinus l.4pr. D. de statu hom. 1,5. Libertas est naturalis 
facultas eius, quod cuique facere libet, nisi si quid vi, aut iure prohibetur. 
Über den individualistischen Freiheitsbegriff der Römer vgl. Jhering 
Geist des römischen Rechts Ill 831 S. 136 ff. 
3) Wohl aber gibt es ein Verwaltungsverfahren, wenn Individuum 
und populus einander gegenüberstehen, wie denn auch anderseits der 
populus durch eine ihn vertretende Person gegen den Privaten klagen 
konnte. Vgl. Karlowa Römische Rechtsgeschichte I 1885 S. 172 ff.
	        
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