Full text: Allgemeine Staatslehre

320 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
keit zu eigen. Zu ihnen treten später die neugegründeten, mit 
königlichen Privilegien ausgestatteten Städte in Deutschland und 
Frankreich, die sich zum Teil zu herrschenden Korporationen 
erheben. Dadurch bedeutet die Zwiespältigkeit des staatlichen 
Wesens auch eine Zersplitterung der gesamten öffentlichen Ge- 
walt, und die Geschichte der mittelalterlichen Staaten ist zu- 
gleich eine Geschichte der Versuche, diese Zersplitterung zu 
überwinden oder doch ihre Folgen zu mindern. 
Die Form, in der dieser Versuch sich vollzieht, ist die des 
ständischen Staates. Zurückweisend auf die altgermanische 
Institution, daß wichtige, die ganze Volksgemeinde betreffende 
Angelegenheiten nicht ohne Zustimmung des Volksheeres vor- 
genommen werden sollen, faßt der ständische Staat die ver- 
schiedenen politischen Untergewalten zu einer Einheit zusammen, 
die dem König- oder Fürstentum geschlossen gegenübertritt. Der 
ständische Staat ist der tvpische Ausdruck der dualistischen 
Gestaltung des germanischen Staatswesens. Da, wo kraft der 
historischen Kontinuität romanistische Gedanken lebendig ge- 
blieben waren, wie vor allem in Italien und dem byzantinischen 
Reiche, ist es niemals zu ständischen Institutionen gekommen. 
Die historischen Gründe, die in den einzelnen Staaten zu 
einer Zusammenfassung der feudalen und munizipalen Gewalten 
zu Reichs- und Landständen geführt haben, sind sehr mannig- 
faltig. Äußere Politik, wie Philipps des Schönen Streit mit der 
Kirche, Kriegszüge, Thronstreitigkeiten, Wahrung des Land- 
friedens, Finanznot der Fürsten, aber auch Behauptung und 
Erweiterung der Freiheiten 'und Rechte der Lehnsträger und 
Gemeinden gegenüber dem Fürsten sind Motive gewesen, die 
korporative Gestaltung der Stände bewirkt haben. Die Stände 
stehen überall als selbständige Körperschaften dem Könige oder 
Landesherrn gegenüber. Daß sie und der Fürst beide nur Glieder 
eines und desselben einheitlich zu denkenden Staates sind, das 
wird zwar in der auf antiken Traditionen beruhenden, dem 
wirklichen Leben indes abgewendeten Theorie behauptet, - hat 
aber in den politischen Überzeugungen dieser Zeit keine Stätte. 
In ihnen treten vielmehr rex und regnum als zwei scharf von- 
einander geschiedene Rechtssubjekte hervor, von denen keines 
die Superiorität des anderen anerkennen will. Wie ein Doppel- 
staat erscheint unserem heutigen Denken der ständische Staat 
in seiner extremsten Ausbildung, in dem Fürsten und Stände
	        
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