326 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates.
möglich geworden, das seine Funktionen durch eine Mehrheit
verfassungsmäßig geordneter Organe versieht und feste Rechts-
schranken zwischen sich und seinen Angehörigen errichtet. Einheit
und verfassungsmäßige Gliederung, gesetzliche Selbstbeschränkung
des Staates gegenüber dem einzelnen sind die wesentlichen Merk-
male dessen, was wir als modernen Staat bezeichnen, und was
ihn in der Gesamtheit dieser Merkmale von allen Staatsbildungen
der Vergangenheit trennt.
So steht denn der einheitliche Staatsgedanke am Schlusse
einer großen historischen Entwicklung. Der moderne Staat hat
als Endpunkt erreicht, was für den antiken bereits Ausgangspunkt
war. Der moderne Staat schreibt sich daher, wie der antike, ja
dem faktischen Umfange nach noch in größerem Maße als dieser,
Recht und Macht zu, alle Seiten des Gemeinlebens zu beherrschen ;
er stellt zwar bedeutsame Schranken seines Wirkungskreises
fest, allein nur solche, die er sich selbst in Erkenntnis seiner
Aufgaben gesetzt hat. Hingegen erkennt er kein außerstaatliches
Recht irgendeines seiner Glieder an, das ihm eine absolute
Schranke böte. Täte er es, so würde damit von neuem jener in
jahrhundertelangem Kampfe überwundene Dualismus in die Er-
scheinung treten.
Auch die politischen Theorien der neueren Zeit enthalten
alle das mehr oder minder ausgeprägte Streben, den Staat als
eine Einheit zu erfassen. Welche Bedeutung der Souveränetäts-
begriff in diesem Gedankenprozesse hat, wird an anderer Stelle
eingehend erörtert werden. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß
das erste geschlossene System des Naturrechts, die absolutistische
Lehre des Hobbes, den Staat als einheitliche Persönlichkeit
erfaßt, der Schranken durch keinen ihr gegenüberstehenden
Willen gesetzt werden können. Wenn auch das Naturrecht den
Staat aus den Individuen ableitet, so läßt es doch den einmal
geschaffenen Staat sich als höhere Macht gegenüber jeder anderen
bewähren; in diesem Punkte sind alle Naturrechtslehrer einig,
mögen sie, wie Locke, natürliche Grenzen der Staatsgewalt
anerkennen oder, wie Rousseau, solche Grenzen nur in dem
Belieben des souveränen Gemeinwillens finden. Auch den
Dualismus von Staat und Kirche wollen diese Lehren über-
winden, indem der Staat ihnen zufolge auch in kirchlichen Dingen
die höchste Gewalt hat. Die naturrechtliche Forderung einer
Staatskirche, die in der Lehre Rousseaus von der religion