Full text: Allgemeine Staatslehre

336 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
aller bewußte vom Staate geübte Zwang!). So gewiß einerseits 
die nichtstaatlichen Garantien allein ohne den staatlichen Zwang 
die Rechtsordnung nicht aufrechtzuerhalten vermögen, so fiele 
doch anderseits, wenn der Druck jener sozialen Mächte aufhörte, 
die Rechtsordnung selbst zusammen, denn der Rechtszwang ist 
nur ein zur unentbehrlichen Verstärkung der außerstaatlichen 
Garantien dienendes Element. Hundertfältige Erfahrung hat ge- 
lehrt, daß dort, wo eine tiefeingewurzelte soziale oder gar 
religiöse Sitte in Widerstreit mit der Rechtsordnung steht, der 
Rechtszwang ohnmächtig ist. Daher ist das Recht auch außer- 
stande, sein eigenes Dasein zu behaupten. Derogierendes Ge: 
wohnheitsrecht, Obsoletwerden der Gesetze beweisen am klarsten, 
daß der Rechtszwang unfähig ist, für sich allein das Recht zu 
garantieren. 
Es ist nun oftmals, namentlich von Publizisten, darauf hin- 
gewiesen worden, daß ganze Partien der Rechtsordnung des 
Rechtszwanges entweder entbehren oder ihrer Natur nach nicht 
fähıg sind. Die leges imperfectae des Privatrechtes, ein großer 
Teil des Verfassungsrechtes und endlich das ganze Völkerrecht 
gehören hierher. Juristen und Rechtsphilosophen, die nur an 
den altüberlieferten Maßstäben zu messen gewohnt sind, haben 
namentlich dem letztgenannten Gebiete den Rechtscharakter völlig 
abgesprochen. Nun können diese Teile der Rechtsordnung 
sicherlich nur dann den Anspruch erheben, als Recht im Sinne 
der Wissenschaft zu gelten, wenn ihre tatsächliche Geltung nach- 
gewiesen wird. Solche Geltung hat aber stets Garantien zur 
Voraussetzung. Auch leges imperfectae gelten nur dann, wenn 
sie gegebenenfalls zur Anwendung kommen und diese An- 
wendung gesichert ist. Die Garantien aber, welche großen 
Partien des Staats- und Völkerrechts, bei denen ihrer Natur 
nach jeder Rechtszwang ausgeschlossen ist, zur Seite stehen, sind 
oft viel stärker als alle erdenklichen rechtlich meßbaren Zwangs- 
maßregeln.. Die Garantien des Staatsrechts liegen in erster 
Linie in der Organisation des Staates und der öffentlich -recht- 
lichen Verbände, für die wichtigsten Teile des Völkerrechts in 
  
!) Seidler, Jur. Kriterium S.43 Note, polemisiert gegen meine 
Ausführungen über die Garantien des Rechts, indem er mir meine eigene 
Ansicht kritisch entgegenhält! Ebenso beruht auf einem Mißverständnis 
die Polemik von Bartolomei Su alcuni concetti di diritto pubblico 
generale I 1905 p. 26 ff.
	        
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