Elftes Kapitel. Staat und Recht. 337
den internationalen Verkehrsverhältnissen und anderen Gesamt-
interessen der zivilisierten Staatengemeinschaft; daher werden auch
die Verwaltungsverträge oft sorgfältiger von einzelnen Staaten be-
achtet als ihre eigenen Gesetze.
Es ist somit nicht der Zwang, sondern die Garantie, als
deren Unterart nur der Zwang sich darstellt, ein wesentliches
Merkmal des Rechtsbegriffes. Rechtsnormen sind nicht sowohl
Zwangs- als vielmehr garantierte Normen.
Wenn nunmehr auf Grund voranstehender Ergebnisse das
Verhältnis zwischen Staat und Recht festzustellen ist, so sind
hier zunächst zwei Probleme zu lösen. Einmal das Wesen des
Staatsrechtes, der Rechtsordnung des Staates selbst, und sodann
die Beziehungen zwischen dem Staats und dem innerhalb seiner
Grenzen gültigen Rechte. Daran hat sich zur allseitigen Be-
trachtung dieser Probleme eine kurze Erörterung über die Stellung
des Staates zum Völkerrechte anzuschließen.
II. Die einzelnen Fragen.
i. Das Problem des Staatsrechtes.
Dieses lautet: Ist der Staat selbst rechtlicher Ordnung
fähig? Gibt es ein Recht für den Staat, und worauf gründet
sıch dieses ?
Staatlicher Wille ist menschlicher Wille. Es handelt sich
daher hier um die Festsetzung des Daseins verbindlicher Normen
für den den Staat darstellenden menschlichen Willen. Solche
Normen werden aufgewiesen, wenn ihr Sein und Gelten sowohl
von den Herrschenden als den Beherrschten bejaht werden muß.
Um diese grundlegenden Fragen zu beantworten, müssen
wir bis zu den letzten psvchologischen Quellen des Rechtes
vordringen.
1. Der Ursprung der Überzeugung von dem Dasein normaler
Verhältnisse liegt in einem bestimmten psychologisch bedingten
Verhalten des Menschen zu den faktischen Vorgängen. Der
Mensch sieht das ıhn stets Umgebende, das von ihm fortwährend
Wahrgenommene, das ununterbrochen von ihm Geübte nicht nur
als Tatsache, sondern auch als Beurteilungsnorm an, an der er
Abweichendes prüft, mit der er Fremdes richtet. Man muß
dabei nicht sofort an das Ethische und Juristische denken; bereits
in den tausendfältigen Normen, die das tägliche Leben bildet,
a. Jellinek, Allg. Staatslehre. 3. Aufl. 22