Full text: Allgemeine Staatslehre

348 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
befangen, daß sie die ausschließlich dem Volke zukommende 
konstituierende Gewalt darstelle, und die Regierungen der Einzel- 
staaten waren sich keinesfalls über den Umfang der Vollmachten 
des Frankfurter Parlaments im klaren. Daher ist die Frage, 
ob das Verfassungswerk der Zustimmung der einzelstaatlichen 
Regierungen zu seiner Perfektion bedurft hätte, niemals ent- 
schieden worden!). Die Nationalversammlung war der Über- 
zeugung, daß ihre gesetzgeberischen Beschlüsse durch die auf 
ihren Befehl erfolgende Publikation unmittelbar verbindliche 
Kraft für die Regierungen und das deutsche Volk besäßen. Sie 
erläßi die deutsche Wechselordnung, die von einigen Staaten als 
Reichsgesetz, von anderen als Landesgesetz eingeführt wird?). 
Die provisorische Reichsgewalt verkündigt am 28. Dezember 1348 
die von der Nationalversammlung beschlossenen Grundrechte des 
deutschen Volkes, die nun ın einem Teil der Bundesstaaten durch 
bloße ministerielle Bekanntmachung als ein bereits gültiges Reichs- 
gesetz, von anderen als Landesgesetz, von einer dritten Gruppe 
(Preußen, Österreich, Bayern, Hannover) gar nicht publiziert 
werden. In dieser verschiedenartigen Haltung der deutschen Re- 
sierungen spiegeln sich deren Ansichten über die souvcräne Gewalt 
  
1) Die Anhänger der reichstäglichen Zuständigkeit zur Verfassungs- 
gebung berufen sich auf den Beschluß des Bundestages vom 12. Juli 1848, 
der die Ausübung seiner verfassungsmäßigen Befugnisse und Verpflich- 
tungen an die provisorische Zentralgewalt überträgt (abgedruckt bei 
G.v.Mevyer Corpus juris confoederationis Germanicae 3. Aufl. IIS.512£.). 
So zuletzt Binding, Der Versuch der Reichsgründung durch die Pauls- 
kirche 1892 S.17. Allein nicht nur hatte Österreich sich von Anfang an 
die Zustimmung zu jedem Beschluß der Frankfurter Nationalversammlung 
ausdrücklich vorbehalten, es lag auch gar nicht in der kompetenz und 
der Absicht des Bundestages, der überdies nur dem Reichsverweser seine 
Rechte übertragen hatte, der Nationalvrersammlung konstituierende Ge- 
walt zu verleihen. Von allem anderen abgesehen, konnten die mit der zu 
schaffenden Reichsverfassung nicht vereinbarlichen Bestimmungen der 
Landesverfassungen nicht ohne Zustimmung der betreffenden Kammern 
außer Kraft gesetzt werden. Der Beschluß der Nationalversammlung 
vom 27. Mai 1848, der die dem Verfassungswerk entgegenstehenden Be- 
stimmungen einzelner Landesverfassungen für ungültig erklärte (vgl. 
Otto Mejer Einleitung S. 211 N. 12), war der naturrechtlichen Lehre von 
der konstituierenden Gewalt, nicht dem positiven Rechte entsprungen, 
Die Reichsverfassung vom 27. März 1849 wurde, gemäß dem Beschlusse 
vom 28. Juni 1848, ohne Beitritt des Reichsverwesers publiziert und 
konnte schon deshalb von den Regierungen angefochten werden. 
2) Vgl. Thöl Handelsrecht II 4. Aufl. 1878 S.36 ff.
	        
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