3541 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates.
3. Es sind somit zwei psvchologische Elemente, welche die
Umsetzung der Staatsordnung in Rechtsordnung verursachen. Das
erste, das tatsächlich Geübte in Normatives verwandelnde, ist das
konservative, das zweite, die Vorstellung eines über dem positiven
Rechte stehenden Rechtes erzeugende, das rationale, evolutio-
nistische, vorwärtstreibende, auf Änderung des gegebenen Rechts-
zustandes gerichtete Element der Rechtsbildung.
Im politischen Kampfe pflegen sich die Vertreter beider
Elemente schroff gegenüber zu stehen, ohne zu bemerken, daß
sie notwendigerweise zusammengehören. Wie nachgewiesen, hat
für die Begründung der Überzeugung von der rechtlichen Natur
des Staaisrechtes das zweite Element der Rechtserzeugung große
Bedeutung, indem es sich in eigentümlicher Weise mit dem ersten
verbindet und mitwirkt an der Legitimierung neuer, im Wider-
spruch mit der früher bestehenden Staatsordnung geschaffener
Zustände, sofern sie den naturrechtlichen Forderungen auf Ände-
rung des Gegebenen entspringen.
Aber auch an der Festigung der bestehenden Ordnung hat
das rationale Element der Rechtsbildung einen bedeutsamen An-
teil. Es kann nämlich auch, ohne wesentliche Änderung in der
Form der Rechtsinstitute, diese zu bestimmten, einer Epoche
als vernünftig erscheinenden Zwecken ausgestalten. Die ganze
Rechtsgeschichte ist begleitet von einem ununterbrochenen Prozeß
der Rationalisierung bestehender Institutionen, was in den Aus-
führungen über den Zweckwandel eingehender dargelegt wurde.
Auf der Möglichkeit der Umgestaltung des geschichtlich Über-
lieferten gemäß den als vernünftig anerkannten sozialen Zwecken
beruht nicht zum geringsten die ganze geschichtliche Kontinuität
menschlicher Institutionen. So erscheint uns heute die Einehe,
das Resultat eines langen historischen Prozesses, als die ver-
nünftige Eheform. Die Vernünftigkeit besteht aber in der all-
mählichen Ausgestaltung dieses Rechtsinstitutes auf Grund der sich
wandelnden sittlichen Anschauungen über die soziale Stellung der
Frau im Verein mit der Gestaltung der Hauswirtschaft. Auf
dem Grunde der Erfahrungen, die man lange Zeit hindurch mit
einer Institution gemacht hat, bauen sich die der Zukunft zu-
gewendeten Vorstellungen von ihrer Vernünftigkeit auf. Die
Institution selbst löst sich dadurch für das Durchschnittsdenken
los von ihrer positiv-rechtlichen Basis und nimmt den Charakter