Zwölftes Kapitel. Die Gliederung des öffentlichen Rechtes. 385
Alles Privatrecht ist nur möglich auf Grund der Anerken-
nung der individuellen Persönlichkeit, näher gefaßt durch An-
erkennung bestimmter Qualitäten des einzelnen, vermöge deren
er ın den Stand gesetzt ist, in seinem Interesse die Staatsgewalt
in Bewegung zu setzen. Alle Privatrechte sind mit einem öffent-
lich-rechtlichen Anspruch auf Anerkennung und Schutz verbunden.
Daher ruht das ganze Privatrecht auf dem Boden des Öffentlichen
Rechtest).
Diese Erkenntnis lehrt a priori, wie schwer es sei, die
Grenze zwischen Privat- und öffentlichem Recht im einzelnen
Falle festzustellen. Der Staat und die öffentlich-rechtlichen Ver-
bände sind nicht nur Träger öffentlicher Gewalt, sondern auch
Wirtschaftssubjekte, die auch mit den jeder Persönlichkeit zu-
stehenden Mitteln nicht herrschaftlicher Art Verwaltung üben.
Es ist in erster Linie Sache ausdrücklicher Festsetzung der
konkreten Rechtsordnung, die Grenze zwischen den Handlungen
eines Verbandes als Herrschafts- und als privaten Wiırtschafts-
subjektes zu ziehen. Der Staat kann sich formell dem Privat-
recht ganz oder in großem Umfange entziehen, anderseits aber
sich ihm in weitergehender Weise unterwerfen, als es die Natur
der von ihm eingegangenen Rechtsverhältnisse erfordert. Wie
die Grenze gezogen wird, hängt von der gesamten Entwicklung
der Anschauungen eines Volkes über das Verhältnis des Staates
zum Privatrecht ab. Der Staat als Subjekt von Vermögensrechten
hat in den einzelnen Rechtssystemen eine ganz verschiedene
Stellung. Über sie kann nur die Fiskuslehre eines jeden Einzel-
rechtes Auskunft geben.
Diese Fiskuslehre ist von der höchsten Bedeutung für die
ganze Geschichte der Auffassung des Verhältnisses von Staat und
Untertan?). Wo die Vorstellung des Fiskus als der Persönlichkeit
des Staates in vermögensrechtlicher Beziehung überhaupt nicht
vorhanden war, da hat es grundsätzlich keinen vermögensrecht-
lichen Anspruch des einzelnen an den Staat gegeben. So war
es in England, wo nur ein Bitt-, kein Klagerecht gegen den
Staat bestand, das später der Sache, aber nicht der Form nach
1) ‚IJus privatum sub tutela Juris Publici latet.‘ Bacon De augm.
scient. VIll 5 (Exemplum Tractatus de Justitia universali) Works Ip. 804.
2) Über die Geschichte der Fiskuslehre vgl. O0.MaverI S.47ff.;
Fleiner Institutionen 2.A. 1912 S.34ff.; Hatschek Die rechtliche
Stellung des Fiskus im Bürgerlichen Gesetzbuche 1899 S. 24 ff.
G. Jellinek, Allg. Staatsiehre. 3. Aufl. 95