Dreizehntes Kapitel. Die rechtl. Stellung d. Elemente des Staates. 411
Aus diesem Dualismus zwischen Staat und Kirche wächst im
Verein mit der nie ganz erloschenen altgermanischen Anschauung
von der Priorität des Individualrechtes, das der Staat nicht
schafft, sondern nur anerkennt, die Vorstellung angeborener
Menschenrechte empor. Es sind die Kämpfe, die im Gefolge der
Reformation eintraten, die unter den englischen und schottischen
Kongregationalisten und Independenten die Lehre von dem ur-
sprünglichen Recht der religiösen Bekenntnisfreiheit entstehen
lassen. Ich habe diesen Prözeß an anderer Stelle eingehend ver-
folgt!). Bei der Gründung einiger der amerikanischen Kolonien
Englands erhält dieses Recht zuerst seinen positiven Ausdruck.
Ferner suchen die Engländer vor und nach dem Kampfe der Krone
und des Parlamentes um die Vorherrschaft, die alten Rechte und
Landesfreiheiten durch ausdrückliche Normierung und Anerkennung
von seiten des Königs in der Petition of Right (1628) und in
der Bill of Rights (1689) gegen jeden Zweifel und Angriff sicher
zu stellen. Obwohl diese Dokumente der alten Rechtsanschauung
entsprechend unterschiedslos Sätze des objektiven und Feststellung
subjektiven Rechtes enthalten, sind sie doch die ersten Vorboten
des Gedankens, die gesamten öffentlichen Rechte des einzelnen
zu kodifizieren?). Ebenso hatten die amerikanischen Kolonisten
t) Erkl. der Menschen. und Bürgerrechte S.35ff. Vgl. auch David
G. Ritchie Natural Righis, London 1895, p.3ff.; d’Eichthal Souve-
rainet€ du peuple et gouvernement 1895 p.47, 71ff.; Rieker in der
historischen Vierteljahrsschrift 1898 S. 393 ff.
2) Die Petition of Right knüpft in der Form an die bestehenden
Gesetze an und will nur altes Landesrecht von neuem bestätigen, wie es
von früheren Königen in der Form der confirmatio chartarum so oft ge-
schehen war. Im Grunde enthält sie nichts als die Vorschrift, daß den
bestehenden Gesetzen gemäß verfahren werden solle, wie denn auch
der König in seiner die Bitte des Parlaments gewährenden Antwort
auf die Petition erklärt, daB Recht gewährt werden soll entsprechend
den Gesetzen und Gewohnheiten des Königreichs (The King willeth
that right be done according to the laws and customs of the realm).
In Wahrheit ist aber die Petition eine Grenzlinie zwischen beiden den
Staat damals teilenden und einander feindlich gegenüberstehenden Ge-
walten des Königs und des Parlaments. Die Gesetze werden in ıhr
nicht nur als Normen für die Ausübung der Staatsgewalt, sondern zu-
gleich als Erzeuger der „just rights and liberties“ der Untertanen be-
zeichnet. War nun die Petition der Rechte der erste Schritt zur Rlar-
stellung des Verhältnisses zwischen König und Volk am Beginne des
großen Kampfes zwischen Krone und Parlament, so bezeichnet die von
Wilhelm III. bestätigte Bill of Rights den definitiven Frieden, der