14 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.
sich vollendete, mit allgemeiner Überzeugungskraft ausgestattete
politische Wissenschaft nicht möglich. Vielmehr können nur
relative politische Untersuchungen wissenschaftlichen Wert ge-
winnen, d. h. solche, die hypothetisch einen bestimmten Zweck
als zu erreichend annehmen, dabei aber die Möglichkeit anders-
gearteter teleologischer Beurteilung zugeben müssen!). Deshalb
erhalten in der Regel politische Untersuchungen einen partei-
mäßigen Charakter, zumal jene Beschränkung auf empirische,
relative Zwecke selten zu finden ist, so daß überdies noch der
Gegensatz der metaphysischen Zwecke zu dem der empirischen
hinzutritt und in der Gestaltung der Untersuchung und der Re-
sultate zum Ausdruck kommt. Schon ein flüchtiger Blick in die
politische Literatur lehrt, daß der Unterschied der Welt-
anschauungen, der Überzeugungen von den letzten Zielen des
menschlichen Gemeinlebens, oft unbewußt, den Gang eines sehr
eroßen Teiles der politischen Forschungen bestimmt.
Die Politik als praktische Wissenschaft ıst zugleich eine
Kunstlehre?) und darum wesentlich der Zukunft zugewendet,
während die Staatslehre als Lehre vom Seienden der Vergangen-
heit und Gegenwart zugekehrt ist. Aber auch auf Gegenwart
und Vergangenheit können sich politische Untersuchungen er-
strecken, um aus ihnen Lehren für die Zukunft zu ziehen. Auf
die Gegenwart gerichtet, nımmt die Politik den Charakter einer
kritischen Lehre an, der das Gegebene, gemessen an dem Maß-
stab ihrer durch teleologische Betrachtung gewonnenen Resultate
entweder ein zu Bewahrendes oder ein Umzubildendes ist. Aber
auch die Vergangenheit kann im Hinblick auf bestimmte Zwecke
1) Über die Wichtigkeit dieser Scheidung zwischen absoluten und
relativen politischen Erwägungen für die Beurteilung der Rechtsgültigkeit
von Verordnungen und Verwaltungsakten vgl. W.Jellinek Gesetz,
Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung 1913 S.77£f.
2) Wissenschaftliche Politik und Staatskunst verhalten sich zu-
einander wie jede Aufstellung allgemeiner Prinzipien zu der Kunde von
ihrer Anwendung auf den Einzelfall. Staatskunst, die nicht bloß em-
pirisch verfährt, ist demnach Gestaltung konkreter staatlicher Verhältnisse
gemäß anerkannten Prinzipien, aber unter Berücksichtigung der Eigenart
der zu lösenden Aufgabe und sämtlicher streng individualisiert zu be-
trachtenden Umstände, unter denen sie sich ereignen. Inwieweit solche
Kunst auf allgemeine Regeln zurückgeführt werden kann, um als Leit-
faden für staatsmännisches Handeln zu dienen, hängt mit der alten Frage
zusammen, ob und in welchem Umfang ein geistiges und sittliches
Können lehrhar sei.