Full text: Allgemeine Staatslehre

432 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
sie Institutionen, die dem Gedankenkreise der mittelalterlichen 
Welt entlehnt sind, wieder hervorzaubern möchte. Es ist eine 
Theorie der politischen Romantik, die um so weniger auf Ver- 
wirklichung rechnen kann, als der Satz, daß der Staat der 
Depositar der ganzen Herrschergewalt sei, Resultat der gesamten 
neueren geschichtlichen Entwicklung ist und praktisch sich da- 
durch bewährt, daß überall der Staat durch sein Gesetz den ihm 
unterworfenen Verbänden Herrschaftsrechte gewährt oder entzieht. 
Die naturrechtliche Lehre vom pouvoir municipal, die als Gegen- 
strömung gegen das zentralistisch-absolute Regime in Frankreich 
im Laufe des 18. Jahrhunderts entstand, um in der französischen 
Revolution eine kurze Herrschaft zu feiern, deren Nachwirkung 
später in der konstitutionellen Theorie des deutschen Natur- 
rechtes sichtbar wurde, hat die Tatsache der allseitigen Unter- 
werfung der Kommunen unter das Staatsgesetz nirgends zu ändern 
vermocht!?). 
Der Satz, daß nur dem Staate primär Herrschergewalt zu- 
stehe, ist aber nicht etwa nur das Resultat der absolutistischen 
Entwicklung des Kontinents vom 16.—18. Jahrhundert. Er findet‘ 
seine Bestätigung ebensosehr in den staatlichen Verhältnissen 
Englands und der Vereinigten Staaten, wo ja germanische Rechts- 
gedanken in viel größerer Reinheit erhalten bleiben konnten als 
in den von der romanistischen Staatslehre durchweg in größerem 
oder geringerem Umfange beeinflußten kontinentalen Staaten. 
Alles den englischen Kommunalverbänden oder anderen Korpora- 
tionen innewohnende Imperium ist nach einstimmiger Ansicht 
der dortigen Juristen aus der Machtfülle des Staates delegiert?). 
Jeder Akt der Herrschergewalt ist dort ein Akt der Staatsgewalt, 
die englische Selbstverwaltung nichts als ‚die örtlich tätige 
Staatsgewalt‘. Genau so verhält es sich aber mit Amerika. Trotz- 
dem dort sich erst einzelne gemeindeähnliche Niederlassungen 
bildeten, aus denen die späteren Staaten hervorwuchsen, ruht 
doch alles Recht der amerikanischen Gemeindeverbände auf Zu- 
geständnissen der Staatsgesetze, die viel weniger gewähren als 
manche des europäischen Kontinentes, was allerdings mit der 
  
1) Vgl. System S.277ff.; „Staat u. Gemeinde“, a.a.0. S. 334 ff.; 
Hatschek Die Selbstverwaltung in politischer und juristischer Be- 
deutung (Jellinek-Mever Abhandlungen Il 1) 1898 S.34ff. 
2) Vgl Hatschek Selbstverwaltung S.20ff.; ferner Engl. Staats- 
recht I S. 41 ff.
	        
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