448 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtsiehre.
auch die Geschichte Deutschlands den entgegengesetzten Prozeß
wie die Frankreichs. Während im deutschen Wahlreich die
Hausmacht nur auf Kosten des Reichs erworben werden konnte,
war die Ausdehnung der königlichen Domäne in der französischen
Erbmonarchie eine Stärkung der Königtums und damit des Staates.
Mit Ludwig VI. bereits, also Anfang des 12. Jahrhunderts, be-
ginnt dieser Prozeßt), der durch Philipp August dauernd zu ge-
schichtlicher Bedeutung erhoben wurde. Hatte es 1208 38 könig-
liche Gerichtsbezirke (prevötes) gegeben, so zählte man am Ende
seiner Regierung (1223) deren 94?). Mit dem Wachstum des
königlichen Domaniums wächst auch die Stellung des Königs
gegenüber den Baronen. Die oberste Justizgewalt wırd ihm
wiedergewonnen®), Polizei-, Militär-*) und zuletzt gesetzgebende
Gewalt wird mit ihr in seinen Händen vereinigt. Ende des 13. Jahr-
hunderts tritt zum erstenmal der Satz auf, daß der König „sovrains“
des ganzen Königreichs über den ebenfalls als souverän bezeich-
neten Baronen seid). Als Zeichen dieser Souveränetät führt
Beaumanoir das königliche Recht der obersten Gerichtsherrlich-
keit an und ‚le general garde de son roiaume“, aus dem der
Jurist, seiner Zeit vorauseilend, das freie königliche Recht der
Gesetzgebung ‚por le porfit du rovaume‘ ableitet. Sodann werden
die Verhältnisse unter den ersten Capetingern ist die Unterscheidung von
pays d’obeissance-le-roi und pays de nonobeissance-le-roi, vgl. darüber
Luchaire Histoire des institutions monarchiques de la France sous les
premiers Capetiens, 2.ed. II 1391 p.30ff.
1) Luchaire II p.254ff.
2) Glasson V p.49.
3) Die ihm rechtlich nie gemangelt, wohl aber tatsächlich, vgl.
Luchaire I p. 288ft.
4) O.Hintze Staatsverfassung und Heeresverfassung 1906 S. 17 ff., 20.
5) In dem berühmten Worte Beaumanoirs: Cascuns barons est
sovrains en sa baronnie. Voirs est que li rois est sovrains par desor
tous. Coutumes de Beauvoisis, ed. Beugnot, II p. 22. Das \ort souverain
aus superanus = superior entstanden (Rehm Gesch. S.193 N.2),
souverainet€ auf ein nicht nachweisbares superaneitas deutend. Über
die Vorgeschichte beider Termini und das \Wesen der feudalen Doppel-
souveränetät (souverainet& seigneuriale und royale) vgl. Esmein Cours
el&mentaire d’histoire du droit francais, 5e Ed. 1903 p.139ff., 178f.;
Rehm Allg. Staatslehre S.40f. Die von Rehm, Geschichte a.a.O.,
in einer Interpretation der Stelle Beaumanoirs mir entgegengehaltene
Ansicht, daß dieser die seigneuriale Souveränetät auf amts-, nicht auf
lehnsrechtlichen Ursprung zurückführe, hat er nunmehr selbst, Staats-
(ehre S. 41, aufgegeben.