Full text: Allgemeine Staatslehre

Vierzehntes Kapitel. Die Eigenschaften der Staatsgewalt.e 471 
Artikel 57 der Wiener Schlußakte!) sodann zur Höhe eines dog- 
matisch unzweifelhaften Begriffes erhoben wurde. Es ist wohl 
  
gefügt, „um den Charakter der Monarchie gegenüber den den Ständen 
eingeräumten Rechten schärfer auszudrücken“ (vgl. Seydel Bayer. 
Staatsrecht I S.169 N.2), also in Übereinstimmung mit dem Gedanken- 
gang der Einleitung zur Charte. — Die Formel hat keinen historischen 
Zusammenhang mit dem oben erörterten Satz des Allg. Landrechts. Das 
Neue an ihr ist die ihr zugrundeliegende Behauptung der Unableitbarkeit 
der monarchischen Gewalt von jeder anderen, die Negierung jeder Art 
von Volkssouveränetät. Das 18. Jahrhundert, soweit es nicht dem Ge- 
danken des Patrimonialstaates huldigt, betrachtet in Deutschland auch 
in der absoluten Monarchie das sich vertragsmäßig seiner ursprünglichen 
Macht entäußernde Volk als die letzte Quelle aller Staatsgewalt. Svarez 
selbst (vgl. oben S. 214 Note) erläutert seinen Satz, daß dem Staats- 
oberhaupt alle dem Staate gegen seine Mitglieder zukommenden Rechte 
gebühren durch die Behauptung: „Man nähert sich durch diese Be: 
stimmung dem Grundsatz des Gesellschaftsvertrages.“ Daher ist auch 
nicht mehr, wie im Allg. Landrecht, von den Pflichten des Staats- 
oberhauptes die Rede, denn diese Pflichten sind nichts anderes als die 
Klauseln des Unterwerfungsvertrages, wie die naturrechtliche Staais- 
lehre jener Tage näher ausführt. Die Neuheit der Formulierung des 
„monarchischen Prinzipes“ in Deutschland erhellt. auch daraus, daß 
noch 1816 ein so konservativer preußischer Staatsmann wie Ancillon 
in seiner Schrift über Souveränetät und Staatsverfassungen 2. Aufl. 
S.18ff. sich eine beschränkte Monarchie nur auf dem Prinzipe der 
zwischen Monarch und Ständen geteilten Staatsgewalt errichtet vorstellen 
kann. — Immerhin wäre es eine dankbare Aufgabe, zu untersuchen, 
ob nicht doch vielleicht die Lehre vom monarchischen Prinzip sich in 
Deutschland unabhängig von französischen Einflüssen ausgebildet hat. 
Meisner, auf dessen Dissertation den Herausgeber Anschütz hin- 
gewiesen hat, hält den thüringischen Freiherrn K.A.vonWangenheim 
für den deutschen Ahnherrn unserer Formel: a.a. 0. S.5ff. Wangenheims 
Schrift: „Die Ideen der Staatsverfassung usw.“ erschien im Mai 1815. 
Viel früher hat aber bereits J.St.Pütter die eigenartige Stellung des 
Monarchen gekennzeichnet, wenn er sich 1777 in den Beyträgen zum 
teutschen Staats- und Fürstenrechte, S. 60, folgendermaßen äußert: „Ein 
König, dem ein Reichstag, oder ein Parlament, ein Reichsrath, ein 
Conseil permanent, an die Seite gesetzt ist, bleibt doch allezeit ein 
wahrer Regent; er ist es eigentlich, der die höchste Gewalt auszuüben 
hat; in ihm beruhet die wahre Majestät. Nur in Ausübung der Majestäts- 
rechte ist nicht alles seinem eigenen Gutfinden bloß für seine Person 
überlassen; sondern da wird erfordert, daß erst eine reichstägliche Be- 
willigung vorhanden sey, ohne welche er in allen Fällen, wo Gesetze 
oder Herkommen solche erfordern, für sich nichts tun darf.“ S.62: 
„Das ist die wahre Theilnehmung eines Großbritannischen Parlaments, 
wie eines Teutschen Reichstages.“ 
1) „Da der deutsche Bund mit Ausnahme der freien Städte aus
	        
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