Full text: Allgemeine Staatslehre

450 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslchre. 
geleitet werden aus den Willensverhältnissen: Verbindlichkeit von 
Willensakten durch andere Willensakte. Der Staat ıst Mitglied 
der Staatengemeinschaft. Wäre deren Wille aber Recht, so müßte 
sie ein Gemeinwesen sein, das selbst einen einheitlichen Willen 
besitzt, der über den Staaten steht, und damit wäre die alte 
Vorstellung von der civitas maxima in neuer Form anerkannt!) 
und der ganze historische Prozeß, der zur Anerkennung der 
Souveränetät geführt hat, verneint. 
Dem Zeitalter, in welchem der Souveränetätsbegriff sich aus- 
gebildet hatte, erschien jede Verpflichtung nur in der Form eines 
Gebotes einer höheren Macht an eine untergeordnete möglich. 
Die herrschenden ethischen Vorstellungen waren heteronomer 
Natur. Der gewaltige Fortschritt, den die ethische Erkenntnis 
seit Kant gemacht hat, wie immer die Formulierung der ethischen 
Prinzipien bei dem einzelnen Denker sich gestalten mochte, be- 
steht in der Erkenntnis der autonomen Sittlichkeit als höchster 
Form des Ethos. Woher der Inhalt des Gebotes auch stamme, 
vollkommen sittlich ist nur die Handlung, zu der wir uns selbst 
kraft unseres Wesens, nicht kraft einer von einem anderen ge- 
setzten Norm verpflichtet fühlen. Die Selbstgesetzgebung der 
Vernunft hätten die politischen und naturrechtlichen Schriftsteller 
der vorkantischen Epoche ebenso unmöglich gefunden wie die 
Selbstbindung des Staates an seine Gesetze. 
  
Subjekts und ist sodann von dem eines Gemeinwesens nicht zu unter- 
scheiden: dann gelangt man aber zur civitas maxima, wie immer auch 
man sie benennen mag. Ist hingegen, wie Triepel ausführt, der 
Gemeinwille nur gegenseitig erklärter Wille der Staaten, dann muß man 
den Einzelwillen im Gemeinwillen fortdauernd denken. Damit ist aber 
der Einzelwille der letzte formale Grund der bindenden Kraft völker- 
rechtlicher Satzungen. Keine juristische Entdeckung vermag die Alter- 
native aufzuheben: entweder bildet fremder oder eigener Wille den 
Rechtsgrund einer Verpflichtung; entweder ist daher der Gemeinwille 
der Staaten eigener Wille eines jeden Staates oder ihm fremd, also Wille 
eines anderen und, wenn mit verpflichtender Kraft ausgestattet, Wille 
eines Höheren. Verwirft man aber die civitas maxima und läßt den 
Staat im Vertrage oder in der Vereinbarung sich durch eigenen Willen 
binden, so steht man damit von neuem vor dem grundlegenden Problem: 
Wie kann sich ein Wille selbst verpflichten? — S. auch oben S. 377 N. 1. 
ı) In diese Vorstellung münden in der neuesten Literatur die Aus- 
führungen von Beling, Die strafrechtliche Bedeutung der Exterri- 
torialität 1896 S.9ff., ein.
	        
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