Vierzehntes Kapitel. Die Eigenschaften der Staatsgewal. 481
Der Begriff der Pflicht ist ein einheitlicher. Rechtspflicht
und moralische Pflicht, obwohl voneinander scharf unterschieden,
stimmen doch in dem Merkmal der Pflicht überein. Der Wandel
der ethischen Theorie von der Pflicht muß daher notwendig den
der juristischen zur Folge haben.
In dem Begriff der staatlichen Selbstverpflichtung ‚liegt daher
so wenig ein Widerspruch wıe in dem der sittlichen Autonomie.
Diese Selbstverpflichtung ist von der herrschenden Rechtsüber-
zeugung gefordert; damit ist bei dem subjektiven Charakter aller
Kriterien des Rechts auch die rechtliche Art staatlicher Selbst-
bindung dargetan.
Auf Grund dieser Erkenntnis erst ist es möglich, die irre-
führende Vorstellung der Schrankenlosigkeit aus dem Souveräne-
tätsbegriff zu verbannen und ihn demgemäß zu einem unserer
Rechtsauffassung entsprechenden Rechtsbegriff umzugestalten.
Diese Umgestaltung ist auch allein imstande, ihm einen positiven
Inhalt zu verleihen, ihn hinauszuführen aus dem Kreise von
Negationen, in denen er groß geworden ist. Souveränetät ist nicht
Schrankenlosigkeit, sondern Fähigkeit der ausschließlichen Selbst-
bestimmung und daher der Selbstbeschränkung der durch äußere
Mächte rechtlich nicht gebundenen Staatsgewalt auf dem Wege
der Aufstellung einer Rechtsordnung, auf Grund deren allein die
Tätigkeit des Staates einen rechtlich zu wertenden Charakter
erhält. In eine kurze Formel zusammengefaßt, bedeutet daher
Souveränetät die Eigenschaft einer Staatsgewalt, kraft deren sie
die ausschließliche Fähigkeit rechtlicher Selbstbestimmung und
Selbstbindung hatt).
Souveränetät hat demnach für den modernen Staat eine
zweifache Richtung. Nach der negativen Seite hin, ursprünglich
die einzige erkannte, bedeutet sie die Unmöglichkeit, durch
irgendeine andere Macht gegen den eigenen Willen rechtlich
beschränkt werden zu können, sei diese Macht nun staatlicher
oder nichtstaatlicher Art. Faktische Beschränkungen der souve-
1) Vgl. darüber auch meine früheren Ausführungen: Lehre von den
Staatenverbindungen, S. 30ff., und Gesetz und Verordnung, S. 196 ff. und
die daselbst angeführte Literatur. Aus der neuesten Literatur wesentlich
übereinstimmend mit mir Le Fur, L’Etat federal p. 443: „La souve-
rainete est la qualit& de l’Etat de n’ötre oblige ou determine que par sa
propre volonte, dans les limites du principe superieur du droit, et con-
forme&ment au but collectif qu’il est appele & rcaliser.“
G. Jellinek, Allg. Staatslehre. 3. Aufl. 31