Full text: Allgemeine Staatslehre

Vierzehntes Kapitel. Die Eigenschaften der Staatsgewalt. 493 
Das erste Merkmal einer selbständigen Herrschergewalt ist 
also, daß ihre Organisation ausschließlich auf eigenen Gesetzen 
ruht. Sie muß ferner alle wesentlichen materiellen Funktionen 
einer Staatsgewalt besitzen, was wiederum nur die Folge der 
Selbstorganisation der Herrschergewalt ist. Vor allem disponiert 
jeder Staat durch seine Gesetze über die ihm zustehende 
Herrschermacht. Aber auch seine Verwaltung und seine Recht- 
sprechung ruhen auf seinem Willen. Diese Eigenschaft kann als 
die der Autonomie bezeichnet werden. Sie besteht nicht nur in 
der Fähigkeit, eigene Gesetze zu haben, sondern auch ihnen gemäß 
und innerhalb ihrer Schranken zu handeln!). Daher ist der 
Schluß gerechtfertigt, daß ein Gemeinwesen ohne eigene Gesetze, 
Regierung, Rechtsprechung kein Staat sei; mangelt ihm auch 
nur eines dieser Stücke, so ist dies ein Zeichen dafür, daß es 
nicht unter den Staatsbegriff fällt?).. Ein Staat kann in dem 
Umfang dıeser Funktionen, in der Kompetenz seiner Organe 
eingeschränkt sein, allein sie alle müssen vorhanden sein, um 
ihm den Staatscharakter zu wahren. Daher muß auch ein jeder 
nichtsouveräne Staat sich in eine bestimmte Staatsform einordnen 
lassen. Württemberg und Baden sind Monarchien, Hamburg, Bern, 
Pennsylvanien Republiken. Eilsaß-Lothringen hingegen kann 
keiner dieser beiden Hauptkategorien eingereiht werden. Es gibt 
kein selbständiges, nur ihm zugehöriges oberstes Herrschafts- 
organ für Elsaß-Lothringen3), und ebensowenig können die mit 
  
Ill 1909 S.396ff.- Marczaly Ungar. Verfassungsrecht 1911 S. 154ff.; 
Tezner Der Kaiser 1909 S.252ff. Für die Staatsnatur Kroatiens 
Bernatzik Öst. Verfassungsgesetze 2.A. 1911 S. 735£., wohl in Wider- 
spruch mit S. 1033 und mit der irrigen Behauptung, es gebe keine ein- 
heitliche preußische Staatsangehörigkeit. — Wegen Finnlands vgl. unten 
S. 655 ff. 
1) Vgl. Laband I S. 105. 
2) Seidler, Jur. Kriterium S.12, bestreitet dies, inden er es für 
möglich hält, daß im Bundesstaat die gesamte Rechtsprechung der Zentral- 
gewalt zugeteilt wird. Er verwechselt aber die formelle Funktion der 
Gerichtsbarkeit mit der materiellen der Rechtsprechung, die gar nicht 
mechanisch von Gesetzgebung und Verwaltung geschieden werden kann. 
Zudem hat es bisher noch nie einen richterlosen Staat gegeben, daher 
hier für mich einer der Fälle vorliegt, wo Einsicht in die historische 
Wirklichkeit den freien Flug der juristischen Spekulation zu mäßigen hat. 
®) Das verkennt v.Seydel, Kommentar zur Verfassungsurkunde für 
das Deutsche Reich 2. Aufl. 1897 S.39, wenn er Elsaß-Lothringern für 
einen Staat und die verbündeten Souveräne Deutschlands für die
	        
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