Full text: Allgemeine Staatslehre

502 Drittes Buch. Allgemeine Staalsrechtslehre. 
2. Die Teilung der Staatsgewalt („der Souveräne- 
tät‘) im Bundesstaate. 
Unter dem Einfluß Tocquevilles hatte sıch zur Erklärung 
des Bundesstaates die weitverbreitete Lehre von der Teilung 
„der Souveränetät“, d. h. der Staatsgewalt zwischen Glied- und 
Bundesstaat, herausgebildet!),. Obwohl in der neueren Staats- 
rechtswissenschaft mit Energie bekämpft, ist sie dennoch auch 
heute nicht gänzlich überwunden. Sie tritt in der Lehre vom 
Deutschen Reiche fortwährend wieder hervor als Behauptung 
einer Doppelsouveränetät von Reich und Gliedstaat oder einer 
fragmentarischen, geminderten, relativen, beschränkten Soure- 
ränetät entweder der Gliedstaaten oder sowohl dieser als des 
Reiches. 
Insoweit diese Lehre Souveränetät und Staatsgewalt gleich- 
setzt, ist sie bereits durch frühere Ausführungen widerlegt. Allein 
auch solche, welche die Teilung der Souveränetät verwerfen, 
halten doch eine Teilung der Staatsgewalt für möglich. Sofern 
mit der Behauptung der Teilbarkeit der Staatsgewalt nur dem 
Gedanken Ausdruck gegeben werden soll, daß die Staatsgewalt 
nichtsouveräner Staaten einen beschränkten Umfang habe, ist 
gegen eine solche Lehre nur einzuwenden, daß ihre Formel zu 
schweren Mißdeutungen Anlaß geben kann. 
In der Regel aber wird die Lehre von der beschränkten 
Staatsgewalt so gedacht, daß sowohl Bundes- als Gliedstaats- 
gewalt beschränkt seien, daher im Bundesstaat zwei fragmen- 
tarısche oder unvollkommene Staatsgewalten wirken, die zusam- 
men eine den ganzen Umfang staatlicher Zuständigkeiten ver- 
sehende Staatsgewalt darstellen ?). 
Eine solche Auffassung steht aber in völligem Widerspruch 
mit dem Wesen der Staatsgewalt. Ein und dieselbe Staatsgewalt 
kann immer nur einem und demselben Staate zustehen. Persön- 
lichkeit ist Individuum, d. h. ein seinem Wesen nach Unteilbares. 
  
1) Namentlich entwickelt von Waitz, a.a.0. S.162ff., daher in 
der deutschen Literatur auch unter dem Namen der Waitzschen Theorie 
bekannt. 
2) Haenel Studien I S.63ff., Staatsrecht I S.206; Bornhak 
Staatslehre 2. Aufl. S.258; O. Mayer Deutsches V.R. II S. 462 £f.; 
Gierke, Schmollers Jahrbuch 1883 S.1157ff., Deutsches Privatrecht I 
S.674 N.51; Mode Doppelsouveränetät im Deutschen Reiche 1900 S.38 £f.
	        
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