Full text: Allgemeine Staatslehre

514 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
im 18. Jahrhundert so großen Anklang weit über die gelehrte 
Welt hinaus gefunden hat, führt diesen Gedanken eingehend 
durch. Er unterscheidet scharf zwischen der gesetzgebenden und 
der verfassungsändernden Gewalt. In der Regel habe sich auch 
bei Verfassungsänderungen die Minorität der Majorität zu fügen. 
Sollte aber die Staatsform selbst durch Majoritätsbeschluß ge- 
ändert werden, so stände es der Minorität frei, aus dem Staate 
auszuscheiden, d. h. auszuwandern!). 
Ganz eigentümlich ist die Stellung, die Rousseau zu dem 
Problem einnimmt. Er verwirft scheinbar jedes Grundgesetz für 
den Souverän, da der allgemeine Wille sich selbst nicht binden 
kann?). Seinem Prinzipe gemäß, daß der einzelne auch im 
Staate frei bleibe, weil sein Wille im allgemeinen Willen als 
konstituierendes Element enthalten, jedermann daher nur seinem 
eigenen Willen untertan sei, hätte er alle Gesetze für gleich- 
wertig und daher für alle gleichmäßig Einstimmigkeit verlangen 
müssen. In der Tat will er auch das polnische liberum veto er- 
halten wissen, sofern es sich auf dıe Grundlagen der Verfassung 
bezieht; einstimmig angenommen, können sie auch nur ein- 
stimmig abgeändert werden®). Für die laufende Gesetzgebung 
solle aber Majorität genügen, deren Größe nach der Wichtig- 
keit der zu erledigenden Gegenstände abgestuft sein solle). 
Der in solchem Falle in der Minderheit Gebliebene sei nicht 
sowohl überstimmt worden, sondern habe sich vielmehr über 
den Inhalt des Gemeinwillens getäuscht5). Nur der contrat social 
selbst verlange seiner Natur nach Einstimmigkeit®). Es ist klar, 
  
!) Le droit des gens I ch. III 88 30—33. 
2) Contr. soc. 17. 
3) Consid&rations sur le gouvernement de Pologne ch.IX: ‚Par 
le droit naturel des societes, l’unanimite a &t& requise pour la formation 
du corps politique et pour les loıs fondamentales qui tiennent 
a son existence...Or, l’unanimit& requise pour l’&tablissement de ces 
lois doit l’ötre de m&me pour leur abrogation. Ainsi voila des points 
sur lesquels le liberum veto peut continuer de subsister.“ (Euvres 
completes, Paris 1865, V p.270. 
#) Contr. soc. IV 2. Plus les deliberations sont importantes et 
graves plus l’avis qui l’emporte doit approcher de l’unanimite. 
5) L.c. Quand donc I’avis contraire au mien. l’emporte, cela ne 
prouve autre chose sinon que je m’etois trompe, et que ce que j’estimois 
ätre la volont& generale ne l’&toit pas. 
6) L.c. I n’ya qu’une seule loi qui, par sa nature, exige un 
consentement unanime; c’est le pacte social.
	        
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