Full text: Allgemeine Staatslehre

Fünfzehntes Kapitel. Die Staatsverfassung. 515 
daß nur Mangel an Erfahrung eine derartige, Verfassungs- 
änderungen praktisch ausschließende Lehre hatte entstehen lassen 
können. Bei dem Einflusse, den Rousseau ausgeübt hat, ist 
sie aber auch für die Vorstellung größerer Macht und Heiligkeit 
der Verfassungsgesetze von Bedeutung geworden. 
4. Unabhängig jedoch von der Naturrechtslehre gewinnt die 
Vorstellung des geschriebenen Fundamentalgesetzes, der Ver- 
fassungsurkünde zuerst praktische Bedeutung in den amerika- 
nischen Kolonien Englands. 
Diese Kolonien erhielten nämlich, und zwar die Kronkolonien 
von den englischen Königen, die Eigentümerkolonien, wie Nord- 
Carolina und Pennsylvanien, von ihren Herren, Charten oder 
Freiheitsbriefe, Privilegien, in welchen die Grundzüge der Re- 
gierung und der Verwaltungsorganisation der Kolonien nieder- 
gelegt waren. Manche dieser Charten enthielten aber nur die 
Bestätigung der schon früher von den Beteiligten festgestellten 
Grundzüge der Verfassung. So bildeten die erwähnten, in Form 
eines zwischen den Ansiedlern abgeschlossenen Vertrages ver- 
kündigten Fundamental Orders von Connecticut die Basıs für die 
von Karl Il. der Kolonie verliehene Charte!), die 1776 als Ver- 
fassung des Freistaates vom Volke bestätigt und erst 1818 durch 
eine neue Konstitution ersetzt wurde. Ebenso erhielt das schon 
früher von Roger Wılliams auf Grund von Pflanzungsverträgen 
konstituierte Rhode Island 1663 eine die schon bestehenden Ein- 
richtungen bestätigende Charte Karls Il, die sogar bis 1842 die 
Verfassung dieses Staates blieb. Die Charten beider amerikanischer 
Gliedstaaten sind somit die ältesten Verfassungsurkunden im 
modernen Sinne?). Von den Charten der Eigentümerkolonien 
sind namentlich die von William Penn auf Grund von der 
Krone verliehener Vollmachten für die ihm zum Eigentum ge- 
gebene, nach seinem Vater benannte Kolonie Pennsylvanıen 
1682, 1683 und 1701 mit Zuziehung von Vertretern dieser 
Kolonie erlassenen Verfassungen wegen der in ihnen enthaltenen 
Prinzipien zu erwähnen). Beim Ausbruch der amerikanischen 
Revolution hatten alle dreizehn Kolonien derartige Charten. Die 
Vorgänger dieser Urkunden lassen sich bis ins Mittelalter ver- 
  
t) Vgl. Gourd Les chartes coloniales et les constitutions des Etats- 
Unis 1855 I p. 103 ft. 
2) Texte bei Poore I p.249ff.; II p. 1596 ff. 
3) Vgl. Poore II p.1523ff.;, Gourd I p. 16Hff. 
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