Fünfzehntes Kapitel. Die Staatsverfassung. 525
wurde und damit zuerst in Deutschland, wenn auch in sehr ver-
kümmerter Form, dem. konstitutionellen Gedanken Ausdruck gab!).
Alle diese Verfassungen wurden, wie die von 1791, formell als
Gesetze höherer Art gedacht, was dadurch zum Ausdruck kam,
daß sie der Volksabstimmung unterzogen wurden, damit die
konstituierende Gewalt der souveränen Nation anerkennend. Auch
die ephemere Additionalakte aus der Zeit der hundert Tage, die
eine neue Verfassung des kaiserlichen Frankreichs enthalten
sollte, wurde durch ein Plebiszit sanktioniert?).
Alle diese Verfassungen ruhen, wie die erste Frankreichs,
auf dem Prinzipe der Volkssouveränetät. Am interessantesten in
dieser Hinsicht ist die Verfassung des Kaiserreichs. Sie ist
cäsaristisch, d. h. sie knüpft an den römischen Gedanken
der lex regia an, durch welche der den Staat bildende populus
die ihm zustehende Gewalt dem Cäsar überträgt, der dadurch
einziger Repräsentant der Volksgemeinde wird. Der Cäsarismus
ist in Wahrheit eine absolute Monarchie mit scheinkonstitutioncllen
Institutionen, in der die Autorität des Kaisers ins unermeßliche
gesteigert ist, weil er kraft der ıhm zustehenden Repräsentations-
befugnis jeden seiner Willensakte als höchsten Volksschlüssen
gleichstehend proklamieren kann. Noch konsequenter hat die
Verfassung des zweiten Kaiserreiches den cäsarıstischen Gedanken
durchgeführt, indem Napoleon Ill. sich zum verantwortlichen
Magistrat des Volkes erklärt, an dessen Willen er stets appellieren
kann, und das auf dem Wege des Plebiszites?) bei wichtigen
Verfassungsänderungen seinen Willen kundtun soll®). Infolge-
dessen sind, nach amerikanischem Vorbild, die Minister, die
niemals Mitglieder des corps legislatif sein dürfen), ausschließ-
lich dem Kaiser als dem die gesamte Verantwortlichkeit tragenden
höchsten Repräsentanten des Volkes verantwortlich ®).
Noch weiter und tiefer wirkend als dıe Verfassungen der
französischen Revolution war die, welche das wiederhergestellte
ı) Vgl. G.Meyer StR. S. 137 f.
2) Duguit-Monnier p.LXXXV.
3) Über die bonapartischen Plebiszite vgl. Borgeaud Const.
p. 261ff.; Esmein Droit const., p. 35+f£.
4) Const. vom 14. Januar 1852 Art. 5, 32.
5) Const., Art. 44.
6) Const.. Art. 13: „Les ministres ne döpendent que du Chef de l’Etat;
ils ne sont responsables que chacun en ce qui le concerne des actes
de gouvernement. II n’y a point de solidarite entre eux.“