Full text: Allgemeine Staatslehre

530 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
tarischer Regierung. Die parlamentarischen Rechte der Kammern 
bezüglich der Finanzen, der Armee und der Staatenverträge sind 
viel größer als in den anderen gleichzeitigen Verfassungen. 
Außerdem enthält die Verfassung eine sehr umfangreiche Er- 
klärung der Rechte, die in der französischen Charte und den ihr 
nachgebildeten Verfassungen anderer Staaten sich nur auf einige 
wenige Punkte beschränkt. 
Diese Verfassung eines neugebildeten, kleinen, neutralen 
Staates löst in der Popularität die französischen Verfassungen 
ab. Sie wird das Verfassungsideal der folgenden Zeit. Ihr Vor- 
bild wirkt namentlich in der Epoche 1848—49. Unter ihrem 
Einflusse stehen die Nationalversammlungen und Reichstage in 
Frankfurt, Berlin und Wien-Kremsier, die sich die konstituierende 
Gewalt zuschreiben und Verfassungen auf Grund des demokra- 
tischen Prinzipes auszuarbeiten versuchen. Aber auch die heutige 
Verfassung Preußens vom 31. Januar 1850, die österreichische 
Verfassung vom 4. März 1849 und die in Kraft stehenden Staats- 
grundgesetze vom 21. Dezember 1867, die ungarischen Gesetze 
von 1848, die in der Epoche seit 1848 erlassenen oder revidierten 
Grundgesetze der deutschen Gliedstaaten, ja selbst die Verfassung 
des Deutschen Reiches weisen größeren oder geringeren Einfluß 
der belgischen Verfassung auf. Sie hat schließlich auch auf 
Frankreich zurückgewirkt, da dıe parlamentarische Republik An- 
leihen bei den politischen Gedanken der parlamentarischen 
Monarchie suchen mußte. 
“. Auch die nordischen Staaten Schweden und Dänemark 
haben sich in ihren Verfassungen den französisch-belgischen 
Typen angenähert, wenn auch beide, namentlich Schweden !!), be- 
deutende Resultate eigener Entwicklung aufweisen. Hingegen 
haben die neuzuordnenden Staaten der Balkanhalbinsel sich enger 
an die herkömmlichen Verfassungsschablonen angeschlossen. Selb- 
ständige Wege ist die schweizerische Verfassungsgeschichte im 
  
1) Die jetzt geltende schwedische Verfassung vom 22. Juni 1866 
hat mehr als jede andere bedeutende Elemente altständischen Wesens 
bewahrt, die sich z.B. in der eigentümlichen Gestaltung der Sanktion, 
in der Steuerbewilligung, in dem freien Gesetzgebungsrecht des Königs 
auf ökonomischem Gebiete, in der Kontrolle der Staatsleitung durch 
den Reichstag usw. zeigen. Vgl. Aschehoug Das Staatsrecht der 
Vereinigten Königreiche Schweden und Norwegen, im Handbuch des 
öff. Rechts, namentlich S.13ff., 63ff., 108£f.,, und neuestens Hintze 
ın der Ztschr. £f. Politik VI 1913 S. 483 ff.
	        
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