534 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
periode der Legislatur abgeschafft wurde, so daß sie nunmehr
nur jedes zweite Jahr zusammentritt. Da die Verfassungsgesetz-
gebung sehr erschwerenden Formen und namentlich der Volks-
abstimmung unterworfen ist, so ist sie ein bewährtes Mittel, um
Gesetze zu stabilisieren und der Willkür zufälliger Majoritäten zu
entziehen; auch spielt die Rücksicht auf den Richter, der ein-
fache, aber nicht Verfassungsgesetze (sofern sie nur nicht gegen
die Unionsverfassung verstoßen) für nichtig erklären kann, eine
gewisse Rolle in diesem Prozesse der Ausdehnung der Ver-
fassungen!), der deutlich beweist, daß sich ihm praktisch keine
Grenze setzen läßt.
Das wesentliche rechtliche Merkmal von Verfassungsgesetzen
liegt ausschließlich ın ıhrer erhöhten formellen Gesetzeskraft?).
Irgendwelche praktische juristische Bedeutung kommt den Ver-
fassungen in den Staaten, die keine besonderen erschwerenden
Formen für deren Feststellung und Abänderung haben, nicht zu?).
Daher sind jene Staaten, die keine formellen Unterschiede inner-
halb ıhrer Gesetze kennen, viel konsequenter, wenn sie die Zu-
sammenfassung einer Reihe von Gesetzesbestimmungen unter dem
Namen einer Verfassungsurkunde ablehnen. Auch in solchen
Staaten gibt es eine Zahl von grundlegenden Institutionen, denen
kraft der historischen, politischen und sozialen Verhältnisse eine
viel größere Festigkeit zukommt als anderen. Die Stellung der
Krone und ıhr Verhältnis zu den Kammern, deren Zusammen-
setzung, die Befugnisse der Minister usw. sind in diesen Staaten
durchaus keinem größeren Wechsel unterworfen als in denjenigen
mit formellen Verfassungsgesetzen.
Mit Rücksicht auf Dasein und Fehlen formeller Verfassungs-
gesetze hat man die Verfassungen in materiellem Sinne in starre
1) Vgl. G. Jellinek Recht der Minoritäten S.20 N. 36,
2) Laband Il S.39 und Archiv £. öff. Recht IX S.273. G. Jel-
Jlinek Gesetz u. Verordn. S. 262.
3) Für Italien vgl. Mancini-Galeotti Norme ed usi del parla-
mento italiano, Roma 1887, p.165ff.; Racioppi e Brunelli Commento
allo statuto del regno I 1909 S.187ff., ferner Brusa, Das Staatsrechi
des Königreichs Italien (im Handbuch des öff. Rechts), der S.14f.
konstatiert. daß die Verfassungsurkunde auf dem gewöhnlichen Wege
der Gesetzgebung abgeändert werden kann. Allerdings pflegen aber in
Italien vor Verfassungsänderungen allgemeine Neuwahlen stattzufinden,
ohne daß indes eine derartige Befragung der Wähler irgendwie gesetz-
lich vorgeschrieben wäre.