Zweites Kapitel.
Die Methodik der Staatslehre')
1. Notwendigkeit methodologiseher Untersuchung.
Wer heute an die Untersuchung sozialer Grundprobleme
geht, dem tritt sogleich der Mangel einer 'in die Tiefe dringenden
Methodenlehre fühlbar entgegen. Die staatswissenschaftliche
Literatur zeigt in diesem Punkte die größte Verwirrung, weil
ein großer Teil der Schriftsteller, darunter solche, denen ver-
dienstvolle Förderung des Details zu verdanken ist, sich über-
haupt nicht klarmachen, welch große Schwierigkeiten einer
Bearbeitung der Grundphänomene entgegenstehen, wie viel feine
Unterschiede zu beachten sind, wie sehr wir gerade auf diesem
Gebiete verleitet werden, Bilder und Analogien für reale Wahr-
heiten zu halten. Zu einer systematischen, umfassenden, alle
Schwierigkeiten berührenden Logik der Sozialwissenschaften ist
in ähnlicher Weise, wie es in neuerer Zeit mit Erfolg für die
Naturwissenschaften geschehen ist, bisher kaum der Anfang
gemacht worden?). Und diese Anfänge beziehen sich über-
wiegend auf die Geschichtsforschung®), die politische Öko-
1) Unter Staatslebre wird in diesem Kapitel die allgemeine und
spezielle Staatslehre in dem oben S.9f. entwickelten Sinne verstanden.
Ausgeschlossen bleibt demnach die Methodik der individuellen Staatslehre.
2) Über Methodik der Geisteswissenschaften im allgemeinen handeln
namentlich J. St. Mill System der deduktiven und induktiven Logik.
Übersetzt von Schiel, II 6. Buch; Sıigwart Logik, 4. Aufl. 1911 II 8104;
W.Dilthey Einleitung in die Geisteswissenschaften I 1883; Wundt
Logik, 3. Aufl. III 1908.
3) Hervorzuheben aus der neueren Literatur sind G.Simmel Die
Probleme der Geschichtsphilosophie, 3. Aufl. 1907; Rickert Geschichts-
philosophie in der „Philosophie im Beginn des 20. Jahrh.‘“, 2. Aufl. 1907
S.321ff.; Bernheim Lehrbuch der historischen Methode und der Ge-
schichtsphilosophie, 5./6. Aufl. 1908, daselbst auch umfassende Literatur-
angaben; Windelband Geschichte und Naturwissenschaft 1894;