Full text: Allgemeine Staatslehre

Sechzehntes Kapitel. Die Staatsorgane. 545 
dem absoluten Monarchen, was in allen Formen der cinfachen 
Republik, von der Herrschaft einer kleinen Minderheit bis zur 
absoluten Demokratie, der Fall ist. Ferner sind unmittelbare 
kollegialische Organe alle parlamentarische Kammern?). Die Mit- 
glieder solcher Kollegien haben ebenfalls Organcharakter; sie sind 
in dieser Eigenschaft Teilorgane. Es können endlich auch Ver- 
bände den Charakter unmittelbarer Organe besitzen. Der wichtigste 
hierher gehörige Fall ist der des Bundesstaates, in dem die ihn 
bildenden Einzelstaaten zugleich Organe des Gesamtstaates sind. 
Unmittelbare Organe entstehen entweder dadurch, daß die 
Rechtsordnung an juristische Tatsachen direkt die Organqualität 
anknüpft, so die des Monarchen an die Abstammung von einer 
bestimmten Person, die Stellung in der Sukzessionsordnung und 
den Wegfall des letzten Throninhabers, die des stimmfähigen 
Mitgliedes der demokratischen Volksgemeinde an Staatsangehörig- 
keit, männliches Geschlecht, bestimmtes Alter und andere ver- 
fassungsmäßige Bedingungen, oder daß ein besonderer, auf die 
Erzeugung des Organes gerichteter juristischer und daher recht- 
lich geordneter Akt notwendig ist. Im letzteren Falle sind die 
den Kreationsakt vollziehenden Personen wiederum Organe, und 
zwar Kreationsorgane. Solche Kreationsorgane können nur 
auf Grund eines verfassungsmäßig vorgeschriebenen Prozesses 
tätig werden; ihr Handeln gehört mit zu den materiellen Grund- 
lagen der Staatsordnung. Kreationsorgane unmittelbarer Organe 
haben daher selbst diesen Charakter, und ihre Schöpfungstätigkeit 
kann den mannigfaltigsten Charakter annehmen. So war bis zur 
Thronfolgeordnung Pauls I. der russische Kaiser, der seit Peter dem 
Großen seinen Nachfolger durch Testament ernannte, Kreations- 
  
1) Daß die Anhänger der Herrschertheorie die Organnatur der 
Parlamente verneinen, ist natürlich, Auch Zorn, D. Literaturzeitung 
S.882, der dieser Theorie nahesteht, bestreitet der deutschen Volks- 
vertretung mit Rücksicht auf deren Entstehung ihre Eigenschaft als 
unmittelbares Organ. Warum sollten aber die absoluten Monarchen 
kraft ihrer Machtfülle nicht neben sich ein unmittelbares, künftig nur 
unabgeleitete Kompeienzen versehendes Organ haben schaffen können’? 
Die „rechtshistorischen Tatsachen‘ müssen doch dazu dienen, die 
Wirklichkeit zu begreifen, nicht sie unverständlich zu machen. Das 
letztere tut aber eine Lehre, welche sich die heutige parlamentarische 
Tätigkeit fortdauernd als aus der monarchischen Machtfülle abzuleitend 
denkt. Die Lehre von der Eigenschaft der Kammern als unmittelbarer 
Staaisorgane ist heute die herrschende. Vgl. aus der neuesten Literatur 
Anschütz Enzyklopädie II S. 551, 579. 
G. Jellinek, Allg. Staatslehre. 3. Aufl. 35
	        
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