550 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
die politische Stellung von Krone, Ober- und Unterhaus sıch all-
mählich völlig verändert hat.
An dieser Stelle ist aber scharf der Gegensatz von juristischer
und politischer Betrachtungsweise zu betonen. Die politische
Forderung, daß die Einheit des Staates sich auch in der Einheit
eines höchsten Organes darstelle, weil dadurch inneren Konflikten
am meisten vorgebeugt werde, hat häufig zu dem falschen Satze
verleitet, daß rechtlich in einem Organ die ganze Staatsgewalt
konzentriert sein müsse. Nur für jene als unrichtig nachgewiesenen
Staatstheorien, welche ein Staatselement — Herrscher oder Volk —
mit dem ganzen Staate identifizieren, folgt derartiges notwendig
aus ihren verfehlten Prämissen. Die Lehre von der körperschaft-
lichen Natur des Staates muß aber eine solche Behauptung
energisch zurückweisen, die bei vielen nichts als ein Nachklang
der fatalen Lehre von der Doppelsouveränetät, der maiestas realis
und personalis ist.
Richtig ıst, daß der Staat stets eines einheitlichen Willens
bedarf, unrichtig, daß dieser Wille der eines einzigen Organs
sein müsse. Wenn zugegeben wird, daß in Republiken die
Staatsgewalt in einem Kollegium konzentriert sein kann, dessen
Einheitswille aus den Willensakten mehrerer Individuen entsteht,
so ist nicht abzusehen, warum der Einheitswille nicht aus dem
Willen mehrerer voneinander unabhängiger Organe gefunden
werden könne. Ein naheliegendes Beispiel bilden die deutschen
Hansestädte, die in ihren Verfassungen ausdrücklich erklären, daß
die Staaisgewalt gemeinsam dem Senat und der Bürgerschaft
zustehe. Wenn bei Zweikammersystem Wille des Parlamentes
der zur Einheit vereinigte, aber getrennt gefaßte Wille von erster
und zweiter Kammer ist, so ist es nicht verständlich, warum nicht
König und Parlament einen gemeinsamen Willensakt fassen können,
so daß sie, wie es in England die offizielle Theorie tut, in ihrer
Einheit als Erzeuger des höchsten staatlichen Willens gelten.
Zudem ist es möglich, daß der Gedanke der Staatseinheit in der
staatlichen Organisation nicht oder nicht genügend zum Ausdruck
kommt, was doch im mittelalterlichen Staate und noch im
ständischen Staate der neueren Zeit die Regel wart). Einheit
1) Vgl. Merkel Jur. Enzyklopädie 8 393; G. Meyer Staatsrecht
S.18; Haenel Staatsrecht S.92. Auch Rehm, Staatslehre S.194,
führt diese Anschauung aus; er sucht sie aber durch die Lehre von der
gemischten Staatsform zu stützen, die, mit Plato beginnend, namentlich