Full text: Allgemeine Staatslehre

554 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslelıre. 
Wohl aber bedarf ein jeder Staateines höchsten Organes. 
Das höchste Organ ist dasjenige, welches den Staat in Tätigkeit 
setzt und erhält und die oberste Entscheidungsgewalt besitzt. In 
jedem Staate ist nämlich ein Organ notwendig, das den Anstoß 
zur gesamten staatlichen Tätigkeit gibt, dessen Untätigkeit daher 
die Lähmung des Staates nach sich ziehen würde. Wenn das 
amerikanische Volk in Union und Einzelstaat nicht die ihm zu- 
stehenden Wahlen vornähme, so wäre die Folge völlige Desorganı- 
sation der Vereinigten Staaten, die des Kongresses, des Prä- 
sidenten und damit der übrigen Organe entbehren würden. Ebenso 
ist in dem ausgeprägten Typus der Monarchie die monarchische 
Tätigkeit notwendig, um den Staat in Bewegung zu setzen und 
am Leben zu erhalten. Ferner muß einem Organe die oberste 
Entscheidungsgewalt zustehen. Das ist aber jene Gewalt, die 
endgültig zu entscheiden hat über Änderungen der Rechtsordnung 
und nach außen hin die ganze Existenz des Staates auf das Spiel 
setzen kann durch das Recht der Kriegserklärung. In der Demo- 
kratie stehen diese Rechte dem Volke oder seinem sekundären 
Organ zu, in der Monarchie dem Monarchen. Im Deutschen 
Reiche sind die verbündeten Regierungen, unter weitgehender 
Bevorrechtung eines ihrer Glieder, des Bundespräsidiums, dieses 
Organ). Sollte eine bestimmte Verfassung zwei höchste Organe 
  
Die Verfassung des Deutschen Reiches 1901 S. 43, daß das Deutsche Reich 
eine juristische Person sei, deren Gewalt wiederum einer juristischen 
Person, den Trägern der partikulären Staatsgewalten als Korporation 
zusteht. Sie ruht auf der völligen Vermischung der Begriffe „Organ“ 
und „Korporation‘“, von der selbst die Theorie von der Organpersönlich- 
keit entfernt ist. Dies ist um so verwunderlicher, als Geffceken, S. 84 ff., 
das Wesen des Staatsorgans in völlig zutreffender Weise entwickelt. 
!) Der König von Preußen ist primäres, der deutsche Kaiser 
sekundäres Organ des Reiches. Der Kaiser repräsentiert die ver- 
bündeten Regierungen in der ihm verfassungs- oder gesetzmäßig zu- 
kommenden Weise: er handelt daher weder in ihrem Auftrag, noch 
ist er ihnen verantwortlich. Die verbündeten Regierungen üben die 
höchste Gewalt teils in ihrer Gesamtheit, teils durch eine von ihnen 
aus. Unrichtig ist es aber (Seydel Kommentar zur Verf,-Urkunde des 
Deutschen Reiches 2. Aufl. S.126), die kaiserlichen Befugnisse als ab- 
geleitet zu bezeichnen. Auch die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen 
und den Schutzgebieten übt der Kaiser als Repräsentant, nicht etwa 
als Mandatar aus. Diese Auffassung des Kaisertums ist die einzige, 
aus der sich dessen staatsrechtliche Stellung in vollem Umfange er- 
klären läßt, ohne daß die Einheit der obersten Leitung des Reiches 
zerstört würde. Anschütz, Enzyklopädie Il S.548, führt aus, daß
	        
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