Zweites Kapitel. Die Methodik der Staatslehre. 27
Geschichte der Literatur der Staatslchre sich in der neuesten
Zeit eine so große Lücke auigetan hat, so daß in den letzten
Jahrzehnten kein systematisches Werk auch nur einigermaßen
Ansehen zu erringen vermocht hat. Die alten, unsicheren
Methoden oder vielmehr die alte Methodenlosigkeit genügen den
Anforderungen der Gegenwart nicht mehr. Die neuen Methoden
sind aber erst im Werden; deshalb sucht man sich mit den
Grundbegriffen abzufinden, so gut es eben geht, um das Haupt-
interesse der Detailforschung zuzuwenden. Da diese aber in
wichtigen Punkten aus jenen Grundbegriffen deduzierend verfährt,
so sind schwerwiegende, gedeihlichen Fortschritt hindernde Irr-
tümer unvermeidlich. Deshalb muß heute jede Untersuchung
über die staatlichen Grundphänomene mit Feststellung der methodo-
logischen Prinzipien auf Grund der Resultate der neueren erkenntnis-
theoretischen und logischen Forschungen beginnen. Erst dann
besitzt man ein sicheres Werkzeug, sowohl um sich durch das
Gestrüpp der früheren Literatur kritisch den Weg zu bahnen,
als auch um zu selbständiger fruchtbringender Forschung zu ge-
langen.
Im folgenden sollen daher die wichtigsten Punkte der in’
diesem Buche befolgten Methode dargelegt werden. Allerdings
nur ın .den größten Zügen: jedes — sonst so wünschenswerte —
Eindringen in das Detail müßte an Stelle dieser einleitenden
Untersuchung ein selbständiges \Verk setzen.
2. Unterschied der sozialwissenschaftlichen Erkenntnis von
der naturwissenschaftlichen.
Natürliche Vorgänge. unterscheiden sich von sozialen dadurch,
daB in jenen sich die Wirkungen allgemeiner Gesetze derart
nachweisen lassen, daß das einzelne Ereignis unmittelbar als
Repräsentant einer Gattung betrachtet werden kann. Habe ich
das Verhältnis, in welchem Sauerstoff sich mit Wasserstoff zu
Wasser verbindet, an einem einzigen Fall untersucht, so gilt das
derselbe Hauptprobleme der’ Staätsrechtslehre 1911 S. IIIff, 3£f.;
dazu Weyr in Grünhuts Zeitschrift Xi, 1913 S. 175ff.,; Spiegel
Die Verwaltungsrechtswissenschaft 1909. Methodologische Bemerkungen
auch bei Piloty Beziehungen der Rechtswissenschaft zur Philosophie
(Seufferts Blätter f. Rechtsanwendung 71: Jahrg. 1906 S. 493 ff... Von
philosophischer Seite werden’ bei Lask Rechtsphilosophie in der ‚Philo-
sophie im Beginn des 20. Jahrhunderts“, 2. Aufl. 1907 S. 297 £f., auch die
methodischen Probleme der Staatslehre berührt.