Full text: Allgemeine Staatslehre

Sechzehntes Kapitel. Die Staatsorgane. 963 
ist allein imstande, die Kontinuität des Staatslebens zu erklären. 
Sowie man irgendwie die Organzuständigkeiten als Individual- 
rechte auffaßt, ist mit dem Wechsel der Personen notwendig auch 
der Zusammenhang der staatlichen Verhältnisse unterbrochen. Hat 
der Monarch als Individuum ein eigenes Recht auf die Staats- 
gewalt, dann tauchen sofort die der patrimonialen Staatsordnung 
angehörigen Fragen wieder auf, ob er denn überhaupt durch die 
Regierungshandlungen seiner Vorfahren gebunden sein könne. 
Die Gesetze, die der Vorfahr sanktioniert, die Beamtungen, die 
er vollzogen, sind dauernd nur unter der Voraussetzung, daß 
nicht die phvsische Person, sondern der König als Institution 
Träger der Krone seit). 
Diese Erkenntnis ist nicht etwa neu. Schon den späteren 
Legisten war in voller Klarheit der Satz gegenwärtig, daß zwar 
die Person des Herrschers sterben könne, nicht aber die Dignitas, 
die ihrem Wesen nach unsterblich sei?). Die Staaten, in welchen 
der Staatsgedanke schon früh in der Stellung des Königs sich 
ausprägte, haben ıhn auch in ıhr positives Rechtssystem auf- 
genommen. Hatten die Franzosen schon längst die Parömie be- 
sessen: le roi ne meurt pas, so hat ın neuerer Zeit vor allem 
dıe englische Rechtslehre den Satz von der Perpetuität des Königs 
aufgestellt, um die Loslösung der Person von der Würde des 
Königs zu betonen. Sehr schön sagt Blackstone: Heinrich, 
Eduard oder Georg mögen sterben, der König aber überlebt sie 
alle?). Niemals ist ın englischen Gesetzen vom Tode des Königs 
  
1) Eine eigentümliche Lehre stellt Lukas, a.a. 0. S.17ff., auf, um 
das Verhältnis von Organ und Organträger zu erklären. Das Organ ist 
ıhm nämlich unpersönlich und willenlos, es ist die abstrakte Institution 
im Gegensatz zu den physischen Personen, die im Sinne der abstrakten 
Institution tätig sind. Die abstrakten Institutionen sind jederzeit da, 
auch wenn die konkreten menschlichen Persönlichkeiten, die sie aus- 
füllen, fehlen, also z.B. das Parlament nach seiner Auflösung. Da 
aber der Staat nur durch die Gesamtheit seiner Institutionen handelt, 
diese jedoch nach Lukas willenlos sind, so ist der Staat selbst damit 
eine willenlose und handlungsunfähige Institution und deshalb keine 
Person. Diese Theorie ist daher nichts anderes als eine neue Wendung 
der alten Lehre von der persona ficta. 
2) Berühmt namentlich ist der Ausspruch des Baldus, Consilia I 
cons. 27; II cons. 159 n.4: Imperator in persona mori potest, sed ipsa 
dignitas, officium Imperatoris est immortale. 
3) Henry, Edward, or George mav die; but the king survives them 
all, 17 p.249. 
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