Full text: Allgemeine Staatslehre

Hib Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslchre. 
rale Wille des ganzen Volkes, daher der einzelne Abgeordnete 
nicht den Willen des Volksteiles, der ihn entsendet, sondern den 
des ganzen Volkes zu repräsentieren hat. Nur so ließ sich die 
Rousseausche Verwerfung der Repräsentativverfassung einiger- 
maßen mit der politischen Wirklichkeit versöhnen. Bald versteigt 
sich die Konstituante zu der kühnen, sie gänzlich von den Wähler- 
schaften loslösenden Erklärung, daß sie selbst der Sitz der natio- 
nalen Souveränetät sei. Das Gesetz vom 22. Dezember 1789 
führt den Repräsentationsgedanken energisch durch!), schafft 
sodann endgültig die Instruktionen ab sowie die Rückberufung 
der Abgeordneten durch die Wähler?), und von da ist in die 
Verfassung vom 3. September 1791 der klare Satz übergegangen, 
daß die Abgeordneten nicht ein besonderes Departement, sondern 
die ganze Nation repräsentieren und durch keine Instruktion 
eingeschränkt sein sollen®). Diese Bestimmung hat sodann ihren 
Weg in alle übrigen europäischen Verfassungsurkunden gefunden. 
Die gesetzgebenden Versammlungen repräsentieren aber nicht 
das Volk nach allen Richtungen. In eigentümlicher Weise ver- 
mählt sich die Lehre von der Gewaltenteilung mit der der Volks- 
souveränetät zunächst in den Vereinigten Staaten. Dort bekleidet 
das Volk mit der gesetzgebenden Gewalt die Legislatur im Einzel- 
staat, den Kongreß in der Union. Die vollziehende Gewalt hin- 
gegen wird dem Governor oder Präsidenten übertragen, die 
  
1) Einleitung Art.8. „Les representants nommes & l’Assemblde 
natıonale par les departements ne pourront ö6tre regard&s comme les 
representants d’un departement particulier, mais comme les representants 
de la totalit& des departements, c’est & dire, de la nation entiere.“ 
Helie p.72. Wohl zu bemerken ist der feine Unterschied zwischen 
dieser Auffassung und der Blackstones. Bei diesem repräsentiert 
der einzelne das Königreich, d.h. die Gesamtheit der im Unterhaus ver- 
tretenen communitates regni, dort die Nation, d.h. die Summe der 
Individuen. Noch bis heute ist dieser Gegensatz in der englischen und 
französischen Lehre vom Parlamente zu finden, obwohl er sich immer 
mehr verwischt. Praktisch hat er die Bedeutung, daß die englische 
Anschauung das Wahlrecht an die Gemeinde, die französische an das 
Individuum anknüpft. Nur aus dieser, nicht aber aus jener ist das all- 
gemeine und gleiche Wahlrecht als letzte logische Konsequenz abzuleiten. 
2) Sect. I Art.34, Helie p. 76. 
3) Titre III ch. I seet.3 Art.17. „Les repr&sentants nommös dans 
les departements ne seront pas reprösentants d’un d&partement par- 
ticulier, mais de la nation entiere, et il ne pourra leur &tre donn& aucun 
mandat.“
	        
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