Full text: Allgemeine Staatslehre

Siebzehntes Kapitel. Repräsentation und repräsentative Organe. 587 
Volk selbst als primäres Organ organisiert. Im Staate ınit Volks- 
vertretung ist das Volk nicht nur die, eine unterschiedslose Summe 
darstellende, Gesamtheit der Staatsangehörigen, sondern eine 
zum Zwecke der Bestellung von Repräsentanten organisierte Ein- 
heit. Die verschiedenen Systeme, auf denen die Zusammensetzung 
der Kammern beruht, sind ebenso viele Arten der Volksorgani- 
sation. Das Volk als Staatsorgan hat ein ganz anderes Aussehen 
da, wo ihm neben gewälilten erbliche, von der Krone ernannte 
oder kraft Gesetzes berufene Vertreter bestellt werden, als da, 
wo es ausschließlich durch Wahlen seine Repräsentation bildet. 
Das Volk als aktiver Bestandteil des Staates ist ein anderes, 
wenn es auf Grund indirekten statt direkten Wahlrechts, auf 
Grund eines klassensystems oder bestimmter Interessengruppen 
statt allgemeinen und gleichen Wahlrechts organisiert wird, wenn 
reine Majoritätswahlen stattfinden oder dem Gedanken der Pro- 
portionalvertretung auf die Bildung der Kammern Einfluß ein- 
geräumt ist. Am klarsten tritt das wieder in demokratischen 
Staaten hervor, wo die ganze Staatsordnung auf dem Willen des 
Volkes ruht. Wenn die französische staatsrechtliche Theorie das 
suffrage universel fortdauernd als die Grundlage der Verfassung 
Frankreichs behauptet, so hat das den treffenden Sinn, daß das 
ın Wahlkreise gegliederte französische Volk sich seine sekun- 
dären Organe direkt oder indirekt durch besondere Kreations- 
organe angliedert. Daher ist die Wahlorganisation die Grundlage 
der ganzen staatlichen Organisation in der repräsentativen Demo- 
kratie. Noch schärfer zeigt sich die Bedeutung dieser Auffassung 
in den demokratischen Bundesstaaten. Da ist überall eine aus 
Repräsentanten der Staaten bestehende Kammer vorhanden. Die 
landläufige Theorie der Repräsentation kann in dem Staatenhaus 
(Senat, Ständerat) nichts als eine gewöhnliche Wahlkammer er- 
blicken, da ihre Abgeordneten von den Staaten nicht instruiert 
werden könnent). Damit würde aber die bundesstaatliche Natur 
solcher Staaten ganz unverständlich sein. Die wird erst geklärt 
durch die Erkenntnis, daß die Staaten als primäre Organe inte- 
erierende Bestandteile in dem Bau des Gesamtstaates sınd. 
  
1) Die früher erwähnten Fälle der Instruktion amerikanischer Senats- 
mitglieder durch die sie entsendenden Legislaturen dürften heute, wenn 
überhaupt, so doch nur ganz ausnahmsweise vorkommen. Vgl. auch 
Freund Das öff. Recht d. Vereinigten Staaten von Nordamerika 1911 
S.106 N.1.
	        
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