Full text: Allgemeine Staatslehre

988 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
Was an der demokratischen Republik gezeigt wurde, gilt 
aber auch in der konstitutionellen Monarchie. Wenn auch das Volk 
in dieser eine ganz andere Stellung hat und nur viel schwächere 
Rechte besitzt, so ist dennoch auch in ihr die Organisation des 
Volkes zum Zwecke der Bestellung seiner Repräsentanten ein 
Teil der staatlichen Organisation selbst. 
Dieser Lehre könnte entgegengehalten werden, daß da, wo 
nicht ausnahmsweise allgemeine Landeswahlen stattfinden, wie bei 
der Wahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, 
ein einheitlicher Volkswillensakt unmöglich sei, da ja das Volk 
in verschiedene Wahlkreise geteilt ist, im Akte der Wahl daher 
nur eine Summe einzelner Willensakte von Bruchteilen des Volkes 
zur Erscheinung kommen kann. Ein staatliches Organ aber, ob 
als Einzelorgan oder als Kollegium gestaltet, muß einen einheit- 
lichen Willen haben. Daher wäre anscheinend die Bezeichnung 
des zur Wahl organisierten Volkes als eines Staatsorganes un- 
richtig!). In Wahrheit aber findet ın der Wahl, möge sie in 
noch so vielen Wahlkreisen und wie immer stattfinden, ein ein- 
heitlicher Willensakt des Gesamtvolkes statt. Denn nicht nur 
auf Bestellung eines einzelnen Abgeordneten, sondern auch auf 
Bestellung der Kammer selbst ist der Wille der einzelnen Wahl- 
verbände und damit der Gesamtheit der Wähler gerichtet. In 
dieser rechtlich wichtigsten Absicht sind sogar alle Wähler einig, 
welcher Parteistellung auch immer sie angehören. Daher nimmt 
auch der für einen unterliegenden Kandidaten Stinnmende an der 
Bildung der Kammer teil, und sein Wahlakt ist in dieser Hinsicht 
von nicht geringerer rechtlicher Bedeutung als der eines für den 
siegenden Kandidaten Stimmenden. Dasselbe findet aber auch 
bei Nachwahlen und Teilerneuerung statt, wo der Wille der 
Wähler auf die verfassungsmäßig geforderte Vollständigkeit der 
Kammer gerichtet ist. Die Gesamtheit der einzelnen Wahlen 
bildet daher einen Gesamtakt des ganzen zur Wahl organisierten 
Volkes, gerichtet auf die Bestellung der Kammern, mögen die 
einzelnen Teilakte noch so verschieden gestaltet sein und zeitlich 
noch so weit auseinanderliegen?). 
  
1) Wie ich früher selbst, Gesetz und Verordnung S.209, hervorhob. 
®) Gegen obige Auffassung wendet sich in längeren Ausführungen 
Kelsen, S.485ff., indem er sie als eine Fiktion darzustellen sucht; 
ähnlich Tezner, Die Volksvertretung 1912 S.228 N.18. Dann müßte 
es auch eine Fiktion sein, von Entscheidungen eines Kollegialgerichts
	        
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