606 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
selbständige Gewalt an die Seite zu setzen gesucht oder sie als
Unterabteilungen der vollziehenden Gewalt der Funktionenlehre
eingegliedert. Zum Unterschiede von den französischen Lehren,
die praktisch-politischen Bedürfnissen entsprangen, sind die- er-
wähnten deutschen Versuche rein literarischer Art. Nur in der
allgeineinen Ablehnung des Prinzipes der Gewaltenteilung, die
nach Bundesrecht geboten war, haben auch diese Theorien eine
praklische Spitze gehabt.
II. Einteilung der Staatsfunktionen.')
Ein so kompliziertes Gebilde wie der Staat kann unter den
verschiedensten Gesichtspunkten betrachtet und daher gemäß allen
Erscheinungen, die er darbietet, den verschiedensten Einteilungen
unterworfen werden?). So auch seine Funktionen. Dieser weite
Spielraum wird aber bedeutend eingeengt, wenn man mit diesen
Einteilungen den praktischen Zweck verfolgt, den Bau des Staates
sowohl, als auch das Wesen seiner Rechtsordnung gründlich zu ver-
stehen. Nur solche Einteilungen haben Wert, die in das Innere
der Staatstätigkeit dringen und nicht am Äußeren haften bleiben.
Streng logische Vollendung wird aber keine Einteilung bieten
können, weil es sich um Begreifen des Lebens, nicht toten Stoffes
handelt und alles Lebendige, aufs Praktische gerichtet, der Logik
häufig entbehrt. Nur tote Scholastik wird sie überall fordern
und vergebens suchen.
Keine Einteilung der Staatsfunktionen ist die Zerfällung
ihres Umfanges in verschiedene Verwaltungsgebiete. Die Scheidung
der fünf großen Verwaltungszweige der auswärtigen, Kriegs-,
Finanz-, Justiz- und inneren Angelegenheiten bezeichnet die
Aufgaben, dıe der Staat sich gestellt hat, nicht aber besondere
Tätigkeiten. Unter der Nachwirkung der naturrechtlich-absolu-
1) Vgl. aus der neuesten Literatur Br.Beyer Kritische Studien zur
Systematisierung der Staatsfunktionen (Z. £. d. ges. Staatsw. 67. Jahrg. 1911
Ss. 421ff., 605ff.), ferner W. Jellinek Der fehlerhafte Staatsakt 1908
S.dff. u. Gesetz, Gesetzesanwendung 1913 S. 202ff.; Kormann System
d. rechtsgeschäftlichen Staatsakte 1910 S. 49 ff.
2) Daher auch die Klagen Haenels, Staatsrecht I S.119 N. 1, von
„der vollkommenen, Praxis und Wissenschaft beherrschenden Zucht-
losigkeit und Willkür in den Begriffsbestimmungen und in der Termino-
togie aller Haupterscheinungen des Staatslebens“. Sie wird nicht nur
für den Staat, sondern für die Welt des Geistes so lange zutreffen, als
uicht ein geistiger Druck sondergleichen die Menschen zur widerspruchs-
losen Annahme alleinseligmachender Begriffe zu zwingen imstande ist.