Full text: Allgemeine Staatslehre

608 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
Da innerlich Geschiedencs stets nach außen zu wirken strebt, 
so ist es zwar natürlich, daß die verschiedenen Funktionen die 
Tendenz haben, sich in verschiedenen Organcn darzustellen. Der 
Trennung der Funktionen cntspricht die Arbeitsteilung der Organe. 
Insofern war der Rückschluß aus der Verschiedenheit der Organe 
auf die Verschiedenheit der Funktionen, der die Geschichte der 
Funktionenlehre durchzieht, ganz gerechtfertigt. Allein niemals 
läßt sich die einheitliche Staatsgewalt in ihren Äußerungen so 
spalten, daß eine reinliche Aufteilung der Funktionen unter die 
entsprechenden Organe sich durchführen läßt. Es sind vielmehr 
überall Zweckmäßigkeitsrücksichten gewesen, die die Art der 
jedem Organe zugewiesenen Funktionen bestimmen. Daher ist, 
wie bereits früher bemerkt wurde, selbst dort, wo das Prinzip der 
Gewaltenteilung anerkannt ist, eine völlige, scharfe Scheidung der 
Gewalten, und zwar mit vollem Bewußtsein der Abweichung von der 
Schablone, nicht durchgeführt worden. In den Vereinigten Staaten 
z.B. hat der Kongreß Krieg zu erklären; ferner hat der Senat 
Verwaltungsakten des Präsidenten (Abschluß von Staatsverträgen, 
Beamtenernennungen) zuzustimmen und über Staatsanklagen zu 
richten, vereinigt daher alle drei Funktionen in sich. Noch weiter 
hat sich die Praxis von der Schablone entfernt. Dem Präsidenten 
steht in den letzten Sitzungen des Kongresses nicht nur ein 
suspensives, sondern ein absolutes Veto, ganz wie einem an der 
Gesetzgebung positiv beteiligten Monarchen, zu!). Die Richter 
besitzen vermöge des ihnen zustehenden ausgedehnten Prüfungs- 
rechtes der Gesetze die Macht authentischer Verfassungsinter- 
pretation, üben damit in Wahrheit gesetzgeberische Tätigkeit 
aus?). Noch weniger ist diese Scheidung in der großen Mehrzahl 
von Staaten vorhanden, die die Gewaltenteilung in jener extremen 
Form nicht kennen. Allen voran die Staaten, mit parlamentarischer 
  
1) Da der Präsident zehn Tage Frist hat, sich über Annahme oder 
Verwerfung einer Bill zu entscheiden, so kann er die zahlreichen Ge- 
setze, die in den letzten Tagen einer jeden Kongreßsession beschlossen 
werden, durch einfaches Liegenlassen vernichten. Vgl. Const. Art.] 
sect. 7,2, und dazu Mason The Veto Power, Boston 1890, p. 113. 
Andere amerikanische Bundesverfassungen, deren Bestimmungen über 
den Gang der Gesetzgebung denen der Union nachgebildet sind, wie die 
von Mexiko (Art. 71B) und Brasilien (Art. 37, 38), verhindern ein solches 
zufälliges absolutes Veto des Präsidenten. 
2) Vgl. ferner auch Rehm Staatslehre S.289, dazu aber oben 
S.500 N. 1.
	        
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