Full text: Allgemeine Staatslehre

Achtzehntes Kapitel. Die Funktionen des Staates. 621 
Möglichkeit rechtlicher Beurteilung des normwidrigen Aktes ge- 
geben, was bei freien Akten von vornherein ausgeschlossen ist. 
Selbst inhaltliche Bestimmungen der Rechtssetzung sind möglich, 
wenn eine höhere Rechtsquelle einer untergeordneten die Schaffung 
von Normen anbefiehlt, was im Verhältnisse der bundes- zur glied- 
staatlichen, der gesetzlichen zur verordnungsmäßigen Rechtsnorm 
stattfinden kann. 
Weitaus breiter aber als in der Rechtsschöpfung zeigt sich 
die gebundene Tätigkeit in der Verwaltung, wo sie den Charakter 
der Vollziehung erhält. Je weiter die Gesetzgebung vorwärts 
schreitet, desto mehr engt sie das Gebiet der freien Verwaltung 
(administration pure oder discretionnaire der Franzosen) ein, wenn 
es auch unmöglich ist, es jemals gänzlich der Gesetzgebung zu 
unterwerfen, weil ein konkretes Maß freien Ermessens wegen des 
Zusammenhanges der Regierungs- mit der Verwaltungstätigkeit 
notwendig ist. Eine nur auf Grund von Gesetzen verfahrende 
Verwaltung wäre nur in einem regierungslosen Staate zu finden, 
einer Ausgeburt politischer Metaphysik, der ın der Wirklichkeit 
nichts entspricht. 
Am reichsten zeigt sich aber die gebundene Tätigkeit in der 
Rechtsprechung, deren spezifische Form, das Urteil, sich stets als 
Anwendung der Rechtsregel auf den einzelnen Fall darstellen 
muß, so daß kein streitentscheidender richterlicher Akt bei aller 
möglichen Zulassung freien Ermessens den Charakter einer rein 
arbiträren Festsetzung annehmen kann. Größere Freiheit zeigen 
richterliche Verfügungen, die aber auch stets ein Moment der 
rechtlichen Bindung im Hinblick auf den Endzweck des Prozesses 
ent.halten. 
Vollziehung des Staatswillens ist aber nur zum Teil Aufgabe 
der Staatsorgane, vornehmlich der Behörden. In erster Linie ist 
der Staatswille zu vollziehen durch die ihm Unterworfenen. Der 
Gehorsam des einzelnen und derjenigen Verbände, die nicht staat- 
liche Organträger sind, setzt in der weitaus größten Zahl der Fälle 
die staatliche Anordnung in Tat um. Diese Vollziehung ist aber 
nicht Staatsfunktion, sondern individuelle oder genossenschaftliche 
Tat. Es heißt die staatliche Funktionenlehre gründlich verwirren, 
wenn man Erfüllung der zahlreichen bürgerlichen Pflichten als 
Taten des Staates selbst betrachtet). 
  
1) Vgl. die treffenden Bemerkungen von Bernatzik Kritische 
Studien a.a. 0. S. 278.
	        
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