628 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
Hauptkörper bilden soziale und natürliche Hemmungsmittel grö-
Berer Zentralisation. Bei einheitlicher Bevölkerung und kontinu-
ierlichem Staatsgebiet aber wirken bedeutsame politische Rück-
sichten den zentralisierenden staatlichen Tendenzen entgegen.
Unmöglichkeit, vom Zentrum aus einen hinreichenden Einblick
in die realen Lebensverhältnisse der Teile zu gewinnen; Untaug-
lichkeit einer den Bedürfnissen des Volkes fremden und sozial von
ihm geschiedenen Bureaukratie zur gedeihlichen Verwaltung; das
Bestreben, die Selbsttätigkeit der Bürger in öffentlichen Angelegen-
heiten zu heben und damit ihr Interesse am Staate zu wecken
und zu pflegen; Steigerung des politischen Verantwortlichkeits-
gefühls der Regierten, indem man sie an Geschäften der Regierung
und Verwaltung teilnehmen läßt; Berücksichtigung lokaler und
berufsmäßiger Interessen durch Gesetzgebung und Verwaltung;
Garantie gesetzlicher Verwaltung gegen die Willkür der Zentral-
behörden; Überwälzung der Kosten der Lokalverwaltung auf die
Interessenten sind die hauptsächlichsten, hier aber keineswegs
erschöpfend aufgezählten Gründe, mit denen die Forderungen
der verschiedenen Arten von Dezentralisation gerechtfertigt
werden.
Im Zusammenhang mit dem Ausbau der heutigen Staats-
ordnung, soweit sie die Nachteile des Absolutismus zu heilen be-
stimmt war, ist die Forderung nach einer bestimmten Form der
Dezentralisation, nämlich der durch Selbstverwaltung, ent-
standen. Diese politische Forderung hat weitgehende rechtliche
Folgen gehabt. Um das hier zu behandelnde Problem von Grund
aus zu verstehen, muß man sich über den politischen Begriff der
Selbstverwaltung und die Möglichkeit, ihn in einen Rechtsbegriff
zu verwandeln, Klarheit verschaffen).
Die Nachwirkung des mittelalterlichen Gegensatzes von rex
und regnum tritt in der politischen Terminologie der Engländer
noch heute klar hervor, was bei der auch durch Revolutionen
nicht gestörten bewußten Kontinuität der englischen Verhältnisse
1) Über die Geschichte der politischen Forderungen, die im Begriffe
der Selbstverwaltung liegen, vgl. Rosin Souveränetät, Staat, Gemeinde,
Selbstverwaltung, Sep.-Abdr. aus Hirths Annalen 1883 S.41ff.; Preuß
Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränetät (Festgabe für Laband 11
1908) S.206ff.; Loening Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts
1884 S.34ff.; Hatschek Die Selbstverwaltung S.3—69; G.Meyer
Staatsr. S.345ff.; daselbst auch in den Noten die neuere deutsche
Literatur über Selbstverwaltung.