Full text: Allgemeine Staatslehre

Neunzehntes Kapitel. Die Gliederung des Staates. 633 
Vorausgesetzt ıst zunächst der Normalfall des Einzelstaates, 
d. h. jenes Staates, der bei aller möglichen Mannigfaltigkeit seiner 
Glieder ausschließlich Eigner der öffentlichen Gewalt ist, dessen 
Glieder daher weder staatlichen noch staatsähnlichen Charakter 
besitzen. 
Zentralisiert oder dezentralisiert können alle materiellen staat- 
lichen Funktionen sein. Durch den Terminus „Selbstverwaltung‘‘, 
die allerdings nur einen möglichen Fall der Dezentralisation 
bildet, wird dieser Tatbestand verdeckt. Es gibt neben der 
Dezentralisation der Verwaltung eine solche der Gesetzgebung und 
der Rechtsprechung. Lokale Polizeiverordnungen und Ortsstatute 
sind Akte der materiellen Gesetzgebung, sowie Gemeinde-, Ge- 
werbe-, Kaufmannsgerichte und Rentenausschüsse lokale Organe 
der Rechtsprechung im heutigen Staate sind. 
Als Grundformen der Dezentralisation ergeben sich zwei 
scharf geschiedene Arten: administrative Dezentralisation und De- 
zentralisation durch Selbstverwaltung. 
Die Dezentralisation kann aber so weit gehen, daß die oben 
vorausgesetzte innere Einheit des Staates bei relativer Selb- 
ständigkeit der Glieder nicht erreicht wird. Diese Fälle sind 
besonders zu betrachten. Sıe sind von hohem Interesse, weil sie 
uns sowohl dıe Grenzen des Staatsbegriffes kennen lehren als 
auch zeigen, daß im geschichtlichen Leben Übergänge von Staat 
zu nichtstaatlichem Gebilde vorhanden sind. 
II. Die Arten staatlicher Gliederung. 
1. Administrative Dezentralisation. 
Es ist bereits erwähnt worden, daß der streng zentralisierte 
Staat, minimale staatliche Gemeinwesen abgerechnet, nur als 
Schulbeispiel, nicht als realer Typus angetroffen wird. Jede 
Gliederung eines Staates in territoriale Abteilungen zu Zwecken 
der Verwaltung und der Rechtspflege hat notwendig dezentrali- 
sierende Wırkungen. Die Behörden dieser Abteilungen sınd 
nämlich nicht oder nicht nur Vollzugsorgane der Zentralregierung, 
sondern haben eigene, unter Umständen der Aufsicht und Kor- 
rektur durch die obere Behörde entrückte Entscheidungsgewalt. 
Zwei Typen des also dezentralisierten Staates sind geschicht- 
lich hervorgetreten. In dem ersten sind für Teile des Staates 
oberste Behörden bestellt, in dem zweiten steht über allen 
Provinzial- und Lokalbehörden eine einheitliche Zentralregierung.
	        
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