Full text: Allgemeine Staatslehre

634 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
Der erste Typus findet seinen Ausdruck dort, wo der Ver- 
waltung und Rechtspflege das Provinzialsystem zugrunde liegt. 
Es bezeichnet die äußerste Grenze, bis zu welcher die ad- 
ministrative Dezentralisation gehen darf, ohne die Einheit des 
Staates zu zerstören. 
Das Provinzialsystem läßt sich nur historisch begreifen. 
Sowohl dem unausgebildeten politischen Denken des Mittelalters 
als auch noch dem fürstlichen Absolutismus der neueren Zeit ge- 
nügte die Einheit des staatlichen Oberhauptes und der Verwaltung 
gewisser, allen Teilen eines Herrschaftsgebietes gemeinsamer 
Angelegenheiten, um ein einheitliches Staatswesen zu erblicken, 
mit welcher Einheit die weitestgehende Verschiedenheit in der 
politischen Stellung der Glieder vereinbar ist. Die Forderung, 
daß die Einheit des Staates in der Einheit der Zentralregierung 
sich zeige, ist zwar schon dem frühen Mittelalter nicht unbekannt, 
findet aber auf dem Kontinent an der in der ganzen Kulturlage 
begründeten Unmöglichkeit der Herstellung und Aufrechterhaltung 
einer dauernden Zentralgewalt eine Schranke ihrer Verwirklichung. 
Das Feudalsystem schafft aus untergeordneten Organen der staat- 
lichen Zentralregierung selbständige lokale Gewalten, deren Her- 
kunft aus der staatlichen Machtfülle immer mehr aus der ge- 
schichtlichen Erinnerung verschwindet. Die großartige Neuorgani- 
satıon des englischen Staates durch Wilhelm den Eroberer bildet 
das erste Beispiel einer weitgehenden Zentralisation inmitten einer 
durch die selbstherrliche Gewalt der großen Lehnsträger in Zer- 
stückelung begriffenen politischen Welt. Auf dem Kontinente 
ist es vor allem Frankreich, das mit dem Fortschreiten der könig- 
lichen Gewalt die staatliche Einheit auch durch sich vervoll- 
kommnende Einheit der gesamten Staatsverwaltung darzustellen 
strebt. Auch in den anderen Staaten ist es das fürstliche Streben, 
die Kräfte der Gesamtheit, vorerst namentlich zu militärischen 
und ökonomischen Zwecken, zusammenzufassen, sodann aber auch 
um innere Gegensätze auszugleichen und alle Teile gleichmäßig 
an die Dynastie und damit an den Staat zu ketten, das zu einer 
Überwindung des Provinzialsystems führt. Nichtsdestoweniger 
bleiben noch lang Reste zurück!), wie es denn auch heute 
gez 
  
t) Noch im vorigen Jahrhundert sind mehrere deutsche Staaten 
längere Zeit teilweise nach Provinzialsystem verwaltet worden (Sachsen, 
Hannover, Sachsen- Weimar, Mecklenburg-Schwerin). Vgl. Malchus 
Politik der inneren Staatsverwaltung I 1823 88 60—63. Österreich hatte
	        
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