Neunzelntes Kapitel. Die Gliederung des Staates. 645
seıne Schule an der Auffassung eines selbständigen Imperiums
der Gemeinde festhalten, wissen mit ihrer meist nur auf die
mittelalterliche Rechtsgeschichte gestützten Theorie praktisch
nichts anzufangen!).
Die heutige Stellung der Gemeinde im Staate ist vielmehr
nach folgenden Grundsätzen zu beurteilen.
Die Gemeinde hat, wie jeder Verband, Rechte, die ihrem
Wesen nach nicht aus dem Gebiete der staatlich anerkannten
privaten Assoziationsfreiheit herausfallen. Dahin gehört das
Recht, die eigenen Organe zu bestellen, Mitglieder aufzunehmen,
Vermögensverwaltung, Verwaltung lokaler Angelegenheiten, kurz:
private Verwaltungstätigkeit in dem oben gezeichneten Umfang
auszuüben. Der Staat reguliert zwar auch dieses Gebiet in
seinen Gemeindegesetzen in verschiedener \Weise; soweit aber
nicht einschränkende staatliche Rechtssätze ein anderes an-
erkennen, gilt hier der eigene Wille der Gemeinde, der nur
an den Zwecken des Verbandes seine Grenze findet. Sodann
aber ıst die Gemeinde durch Gesetz mit staatlichem Herrscher-
recht belehnt, d.h. es ist ıhr Imperium derart zugewiesen, daß
sie einen Anspruch auf Ausübung von Herrschaftsrechten besitzt.
Diese Herrschaft ist ihr nicht nur im staatlichen Interesse ge-
währt, das durch solche Selbstverwaltung besser gewahrt erscheint,
als wenn es von Staatsorganen besorgt wird, sondern auch im
eigenen. Die Polizeigewalt?), das Recht, persönliche und Sach-
leistungen von ihren Mitgliedern zu verlangen, hat die Gemeinde
nicht nur zum Zwecke ihrer Pflichterfüllung gegenüber dem Staat,
vielmehr auch zur Erfüllung ihrer selbständigen Aufgaben. Die
von der Gemeinde kraft ihres Imperiums erhobenen Steuern
werden für alle Gemeindezwecke ohne Unterschied verwendet.
Das Imperium ist daher ein Verwaltungsmittel der Gemeinde für
ihre gesamte Tätigkeit.
Ferner aber verwendet der Staat die Gemeinde zu seinen
Zwecken, indem er sie seiner Verwaltungsorganisation eingliedert.
1) Das zeigt auch die neueste Verteidigung des ursprünglichen
Rechtes der Gemeinde durch Preuß, Städt. Amtsrecht S.131ff, der
S.136£. sehr richtig ausführt, daß die Verhältnisse eines jeden konkreten
Staates auch de lege ferenda für die Grenzbestimmung zwischen Staat
und Gemeinde maßgebend sind.
2?) Deren Stellung zur Gemeinde in den einzelnen Staaten ver-
schieden geregelt ist; vgl. System S. 276 N. 1.