Neunzehntes Kapitel. Die Gliederung des Staates. 647
ordnungsrecht zu: das Recht, Orisstatuten zu erlassen, durch
welches sie an der materiellen Gesetzgebung teilnehmen.
Auf Grund der vorangehenden Darlegungen ergibt sich fol-
gendes Resultat.
Die Dezentralisation durch Selbstverwaltung bezeichnet eine
politische Erscheinung, die sich durch eine Mehrheit von recht-
lichen Formen verwirklicht. Sie ist entweder passive oder
aktive Selbstverwaltung, je nachdem sie als eine Pflicht oder
als ein Recht geübt wird. Ferner ist sie entweder indivi-
duelle oder Verbandsverwaltung, je nachdem sie von ein-
zelnen als solchen oder von Verbänden geübt wird. Die passive
Selbstverwaltung ist ihrer rechtlichen Seite nach Staatsverwal-
tung, durch die Interessenten geübt; sie erfolgt demnach durch
Staatsorgane. Ihre praktische Bedeutung liegt ın dem Charakter
dieser Organe, die entweder Ehrenbeamte oder Verbände sind.
Die aktive Selbstverwaltung hingegen wird heute in der Regel
nur,von Verbänden geübt. Sie handeln in Ausübung ihrer Rechte
nicht als Organe des Staates, sondern in eigenem Namen. Bei
ihnen liegt die Bedeutung der Selbstverwaltung nicht nur in
ihrer eigenartigen Stellung zum Staate, sondern auch in dem
Charakter der von ihnen ausgeübten Funktionen.
Unter diesen Verbänden nehmen die Gemeinden niederer
und höherer Ordnung eine besonders bedeutsame Stellung ein. In
der Ausgestaltung, die sie auf dem Kontinente erfahren haben,
sind sie zugleich aktive und passive Verbände, so daß an ihnen
alle Seiten der Selbstverwaltung studiert werden können.
3. Dezentralisation durch Länder!).
Der einheitliche Staat, dessen Elemente von ihm den Cha-
rakter durchgängiger Einheit empfangen, ist lange Zeit hindurch
1) Vgl. zum folgenden meine Abhandlung über Staatsfragmente,
deren wesentliches Resultat die Zustimmung von G. Meyer, StR.S.33,
und von Hatschek, Allgemeines Staatsrecht III S.Yff., gefunden hat.
Auf die eingehenden Erörterungen, welche meine Ausführungen, so auch
namentlich in Frankreich, erfahren haben, kann an dieser Stelle nicht
näher eingegangen werden. Das Dasein einer Zwischenstufe zwischen
Staat und Gemeinde erkennen nunmehr unter meinem Einfluß auch an
Rosenberg, Territorium, Schutzgebiet und Reichsland, Hirths Annalen
1903 S. 492 ff., u. Territorium u. Reichsland, Z. £. d. ges. Staatswissenschaft
1910 S. 341ff., und Seidler, Jur, Kriterium S.85, die jeder in seiner
Weise zu konstruieren sucht, ohne alle hierhergehörigen Fälle erklären