Full text: Allgemeine Staatslehre

36 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen. 
So groß aber auch der Wert idealer Typen für das Handein 
ist, so wenig gewähren sie theoretisch-wissenschaftliche Erkenntnis, 
denn Objekt der theoretischen Wissenschaft ist und bleibt das 
Seiende, nicht das Seinsollende, die gegebene Welt, nicht eine 
zu erschaffende. Wie alle Spekulation, ruht auch die vom idealen 
Staatstypus in letzter Linie auf dem Boden subjektiver Über- 
zeugungen, zwischen denen vielfach eine Übereinstimmung unter 
den Subjekten unmöglich ist. Die Idealtypen sind daher im 
Grunde nicht Objekt des Wissens, sondern des Glaubens, daher 
auch politischer Doktrinarısmus so auffallende Ähnlichkeit mit 
religiösem Fanatismus zeigt. 
Dem idealen Typus entgegengesetzt ist aber der empirische 
Typus!). Wenn wir eine größere Zahl von Individuen unter be- 
stimmten Gesichtspunkten auf ein ihnen gemeinsames Merkmal 
hin vergleichen, so bekommen wir ebenfalls ein typisches Bild. 
So haben wir typische Vorstellungen vom Kinde, vom Greise, 
von bestimmten Berufen, Klassen, Nationen usw. Derartige 
Typen bildet sich jedermann in größerer oder geringerer Schärfe 
gemäß seinen Anlagen und Erfahrungen. Mittelst dieser Typen 
ordnen und begreifen wir einen großen Teil unseres sozialen 
Lebens; ja die große Masse der Menschen ist in sehr vielen 
Fällen nur imstande, den Typus festzuhalten, so daß sie in der 
Regel die ındividualisierenden Elemente des Einzelfalles über- 
sieht. Alle sozialen, nationalen, konfessionellen Vorurteile sind 
ja schließlich nur die Wirkungen dieses typischen Denkens. Die 
Fähigkeit, stets zu individualisieren, ist das Zeichen höchster 
Bildung. 
Der empirische Typus unterscheidet sich vom Idealtypus vor 
allem dadurch, daß er nicht den Anspruch erhebt, ein höheres 
objektives Sein darzustellen. Er bedeutet eine Zusammenfassung 
von Merkmalen der Erscheinungen, die ganz von dem Standpunkt 
abhängt, den der Forscher einnimmt. Er ordnet die Mannig- 
faltigkeit der Erscheinungen, indem er das Gemeinsame in ihnen 
logisch heraushebt. So wird er durch eine Abstraktion ge- 
wonnen, die sich im Kopf des Forschers vollzieht, der gegenüber 
die ungebrochene Fülle der Erscheinungen das Reale bleibt. 
  
1) Über diese beiden Arten von Typen, den qualitativ-teleologischen 
und den quantitativ-theoretischen, wie er sie nennt, vgl. auch Windel- 
band in der Monatsschr. f. Kriminalpsychologie III 1907 S. 4 ff.
	        
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